Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pfade des Schicksals

Die Pfade des Schicksals

Titel: Die Pfade des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
Vom Netzwerk:
glaubte, ihr Herz müsse zerspringen. Sie rang nach Atem. Sie hatte alle Wörter vergessen, die keine Gebete waren. O Gott! O Gott. Ogottogottogott.
    Dies war der eigentliche Grund. Dafür hatten die Ranyhyn sie hergebracht. Damit Jeremiah bauen konnte.
    Dein Sohn macht Türen, hatte Covenant gesagt. Alle möglichen Türen. Türen von einem Ort zum anderen. Türen durch die Zeit. Türen zwischen Realitäten.
    Eigentlich war alles unvorstellbar: der untrügerische Instinkt der Pferde, Jeremiahs ausdruckslose Sicherheit, seine unerklärliche Stärke. Unmöglich, dass er tun konnte, was er tat, ohne seinen Blick zu fokussieren und ohne das geringste Anzeichen dafür, dass er wusste, was seine Hände taten. Und es hätte absolut unmöglich sein müssen, dass die Knochen dort blieben, wo er sie hinlegte: Aufgetürmt, der Schwerkraft und ihren eigenen Linien trotzend. Ihre Positionen waren labil und stellten eine solche Missachtung von Gewicht und Passungen dar, dass sie hätten zusammenfallen müssen, sobald seine Hände sie losließen. Trotzdem blieben sie, wo er sie ablegte: Schulterblätter, die wie Palisaden aufrecht standen oder außermittig auf anderen Knochen balancierten; Fußwurzelknochen, die rachitisch wirkende lange Knochen trugen; Schienbeine, die wie nachträgliche Einfälle zwischen langen Fingergliedern eingeklemmt waren und die aussahen, als könnten sie jeden Augenblick umkippen.
    Vor allem braucht er die richtigen Materialien für die Tür, die er gerade bauen will. Genau das passende Holz oder Gestein oder Metall oder Gewebe - oder Teile einer Autorennbahn. Und die Form muss genau stimmen.
    Linden war wie gelähmt, während sie Jeremiah beobachtete. Staunen hielt sie mit eisernem Griff gepackt. Ihr Sohn baute. Er baute! Sie hatte ihn noch nie etwas Vergleichbares bauen gesehen. Legosteine und Tinkertoys und Autorennbahnen waren dafür konstruiert, zusammengesteckt zu werden. Die Äste und Zweige, aus denen er sein Portal in den Melenkurion Himmelswehr gebaut hatte, waren sichtbar miteinander verflochten gewesen. Ihr Eigengewicht hatte sie an Ort und Stelle gehalten. Aber dieses Gebilde …
    Sie brauchte erstaunlich lange, um zu erkennen, dass seine Hände voller Erdkraft waren, wenn er die Knochen aufeinanderlegte, oder dass er jedes Fragment zu liebkosen schien, bevor er nach dem nächsten griff. Oder dass jedes neue Bauteil dann mit den bisherigen verbunden war - so untrennbar verbunden, als hätte er sie zusammengeschweißt.
    Er benutzte Aneles Geschenk dazu, sein Gebilde zu stabilisieren.
    Und er baute eindeutig Wände.
    Irgendetwas an seinem Gebrauch von Erdkraft kam ihr bekannt vor. Irgendwo hatte sie zusammengefügte Knochen in Form eines Ranyhyns gesehen, das sich wie die Pferde auf Jeremiahs Pyjama aufgebäumt hatte.
    »Auserwählte«, sagte Stave - dann schärfer: »Linden!«
    Alle ihre Sinne waren auf ihren Sohn konzentriert: auf die transzendentalen Möglichkeiten seines Talents und auf seine magischen Hände. So verstrichen einige Augenblicke, während irgendein unbedeutender Teil ihres Ichs Staves Stimme zu erkennen versuchte.
    Heranbrandende Übelkeit zwang sie dazu, auf ihn zu hören. In einem Akt der Selbstverleugnung wandte sie sich widerstrebend von Jeremiah ab …
    … und sah am jenseitigen Kraterrand eine weitere Zäsur wie ein Inferno toben.
    Sie hatte schon mehrere Sandsteinplatten zertrümmert und ihre Bruchstücke verstreut. Jetzt wälzte sie sich in die Tiefe: ein tosender Holocaust, der alles vernichtete, was ihm in den Weg kam. Sie kam von dem Jeremiah gegenüberliegenden Kraterrand. Jeden Moment würde sie anfangen, Knochen einzusaugen und in winzigen Fragmenten wieder auszuspucken.
    Diesmal hatte Linden keine Zeit, in Panik zu geraten - keine Zeit und keine Geduld. Sie wollte Jeremiah beobachten. Sie sollte ihren Sohn beobachten. Von Zorn und Frustration beflügelt entlockte sie ihrem Stab nochmals eine Woge von Erdkraft.
    Statt die Sieben Worte zu wiederholen, rief sie diesmal innerlich laut: Zum Teufel mit dir, Joan! Lass uns in Ruhe, verdammt noch mal!
    Wo war Covenant? Er hätte seine Exfrau inzwischen stoppen müssen. Oder dabei den Tod gefunden haben.
    Lindens Empörung wegen Jeremiah vervielfachte ihre Kräfte. Ihr Stab heulte von Theurgie. Er bebte in ihren Händen, während sie die Zäsur mit schwarzen Flammenzungen bestrich. Fast ohne zu merken, was sie tat, erzwang sie ihren Rückzug und verbrannte sie dann.
    Die Zäsur war vernichtet. Blind vor Zorn oder

Weitere Kostenlose Bücher