Die Pfade des Schicksals
unwiderstehlich, und sie trug ihre grazile Schönheit wie eine Anklage zur Schau. Die Böen in ihrem Blick erinnerten Linden an Esmers Seesturmblick.
»Jetzt bist du eine dreifache Schänderin, Wildgoldträgerin!« Ihre Stimme mochte ein erbittertes Keifen sein, aber jedes Wort schwang sich von Glockengeläut begleitet in perfekter Harmonie empor. »Indem du die Schlange geweckt hast, hast du alles zum Untergang verdammt, was innerhalb der Grenzen der Zeit kostbar ist. Als du dem Egger nachgegeben hast, hast du schlummernde Verwüstung geweckt, die unvorstellbare Schrecken bewirken will. Aber hier übertriffst du dich selbst.«
Linden funkelte sie an. Sie hätte zweifellos eingeschüchtert sein sollen, aber das war sie nicht. Jeremiah baute etwas … Sie war begierig darauf, was er erschafften würde - zu begierig, um zurückzuzucken oder einzuknicken.
»Bei allem, was deinem schäbigen Herzen heilig ist, Wildgoldträgerin!« Infelizitas’ Stimme war ein Glockenspiel von Gewalt. Sie schien Linden mit Musik und Majestät bezirzen zu wollen. Und sie hatte sich zwischen ihr und Jeremiah aufgebaut. »Den Jungen aus den Fängen des Croyels zu befreien … Das war in der Tat gut gemacht - aber nicht dein Verdienst. Ebenso war der Tod des Eggers eine Wohltat, aber auch nicht dein Verdienst. Und nun ermöglichst du den endgültigen Ruin aller Dinge, die kostbar sind. Du hättest nicht auf die Ranyhyn hören dürfen. Sie haben dich an diesen Ort des Todes gebracht, um eine schlimme Gräueltat zu ermöglichen.«
Linden machte große Augen. Die offenkundige Empörung der Elohim bedeutete ihr nichts. Tod!, dachte sie, als ihr eine jähe Erleuchtung kam. Knochen. Danach war ihr Bedürfnis - nein, Jeremiahs Bedürfnis - groß gewesen.
Irgendwie hatte die Insequente das vorausgesehen. Auf ihre eigene Art hatten die Ranyhyn dies erahnt. Und diese blitzartige Einsicht erlöste Lindens Herz.
Sie widerlegte die strenge Logik der Verzweiflung.
Mit Musik und Bestürzung verkündete Infelizitas: »Lässt du diesen schlimmen Jungen gewähren, verursachst du unaufhörliches Leid.«
Diesen schlimmen Jungen? Einer plötzlichen Eingebung folgend richtete Linden ihren Stab auf Infelizitas, um der Elohim zu zeigen, dass sie kampfbereit war. Das Bedürfnis nach Tod betraf nicht sie, sondern Jeremiah - und er lebte bereits in Gräbern. Konnte sie nichts dazu beitragen, ihn ins Leben zurückzuholen, war er vielleicht imstande, durch Knochen die eigene Auferstehung zu bewirken.
»Hör mir gut zu.« Linden sprach jedes Wort so präzise aus, als akzentuierte sie die Bedeutung ihrer Liebe zu Jeremiah. »Ich warne dich nur einmal. Hebst du auch nur einen Finger gegen meinen Sohn, tue ich, was nötig ist, um dich zu stoppen.«
Sie wünschte sich von ganzen Herzen, Infelizitas werde ihre Warnung ernst nehmen.
»Ich beschwöre so viel Erdkraft herauf, dass ein weiterer Landbruch entsteht.« In gewisser Weise waren die Elohim eine Verkörperung von Erdkraft. Also war Infelizitas doch bestimmt durch Erdkraft verwundbar? »Und wenn das nichts nützt, gebrauche ich Covenants Ring.
Ich bin nicht seine rechtmäßige Trägerin. Mir ist versichert worden, dass ich den Bogen der Zeit nicht zerstören kann. Aber ich kann dich damit verletzen. Deshalb fürchtest du wilde Magie so sehr, weil du dich nicht gegen sie wehren kannst. Lass es darauf ankommen, dann verbrenne ich dich, bis nichts mehr von dir übrig ist.«
Infelizitas ballte die Fäuste. Zorniges Glockengeläut erfüllte die Caldera, bis alle Knochen zitterten - mit Ausnahme derer, die Jeremiah zusammengefügt hatte.
»Und bildest du dir ein, dass ich deine Drohung fürchte? Wildgoldträgerin, du hast keinen Wunsch nach Verständnis. Du hast nach dem Schatten auf dem Herzen der Elohim gefragt, aber du hörst nicht zu, wenn man dir antwortet. Er ist daran schuld.« Ihre Handbewegung galt Jeremiah. »Was er mit uns vorhat, ist abscheulich - schlimmer als unser Ende im Rachen der Schlange. Aber es ist nicht das schlimmste Übel.«
»Also gut.« Linden wich keinen Schritt zurück. Der Stab in ihren Händen zitterte nicht. »Eins nach dem anderen.« Jeremiah arbeitete weiter, ließ sich von Infelizitas so wenig stören wie von Zäsuren. Eine Wand seines Gebildes war offenbar fertiggestellt. Jetzt begann er, auf dem zweiten Knochenfundament eine weitere Wand zu errichten. Er durfte nur nicht gestört werden. »Begreife ich etwas nicht, solltest du mir helfen, es zu verstehen.«
Bevor Infelizitas
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