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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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vielmehr seiner Arbeit nach. Unmittelbar dem Generalleutnant der Pariser Polizei unterstellt, hatte er den Auftrag, die Philosophen und Bücherschreiber in den Kaffeehäusern der Stadt zu beobachten, ihre Gespräche zu notieren und ihre Entwicklung zu verfolgen. Hinter einer Zeitung verborgen, schien er ganz in die Lektüre versunken, während er tatsächlich mit beiden Ohren lauschte, damit kein Wort seiner Aufmerksamkeit entging, gleichgültig, worüber man sich linksund rechts an den Tischen gerade ereiferte: die Übersetzung Homers, das Prinzip der Gewaltenteilung oder die jansenistische Prädestinationslehre.
    Ja, Antoine Sartine war Polizeioffizier, und er war es gerne. Fakten sammeln war ihm Beruf und Berufung zugleich. Die nie versiegende Flut von Informationen normierte, etikettierte und klassifizierte er mit strenger Systematik, um Ordnung in die unübersichtliche Welt der Dachstuhlschreiberlinge zu bringen, die sich Philosophen nannten und sich mit Romanen und Dramen, Traktaten und Pamphleten jedweder Art unsterblich zu machen versuchten. Ob Adliger oder Kleriker, Arzt oder Advokat, Journalist, Privatgelehrter oder Bibliothekar – kein Autor in Paris, der je ein Wort zu Papier gebracht hatte, entging Sartines System. Auf großen Folioblättern verfasste er seine Berichte, vermerkte peinlich genau die Namen aller Personen, die seiner Überwachung unterstanden, fügte ihr Alter und den Ort ihrer Geburt ebenso hinzu wie ihre Adresse und ihr Aussehen, beschrieb ihre Gewohnheiten und Gedanken und zeichnete ihre oftmals verschlungenen Lebenswege nach. Selbst in gewisser Weise ein Schriftsteller, hegte er für manche Autoren durchaus Sympathie, schätzte Geist, Witz und Talent, wo immer er auf sie stieß, doch geriet seine Loyalität darüber niemals ins Wanken: Stellte ein Autor die orthodoxen Lehren von Kirche und Staat in Frage, begann er zu ermitteln.
    Denn Sinn und Zweck seiner Arbeit war, das Königreich Frankreich vor seinen Feinden zu schützen. Darauf hatte Antoine Sartine nicht nur einen Eid geleistet, diese Pflicht entsprach auch seinem innersten Antrieb. Dem Staat verdankte er alles, was er besaß: seine Bildung, seinen Anzug, seine Wohnung. Er nahm die silberne Repetieruhr aus derBrusttasche seines Rocks, die er erst vor wenigen Tagen am Quai de l’Horloge erstanden hatte, ließ den Deckel aufspringen und schaute auf das Zifferblatt – nicht, um die Zeit festzustellen, sondern einfach nur, um sich das kostbare Stück noch einmal anzusehen. Ja, wenn er diesem Staat auch in Zukunft mit demselben Eifer diente wie bisher, würde er es weit, womöglich sogar sehr weit bringen.
    Er hatte also nur wenig an seinem Schicksal auszusetzen. Das Einzige, was ihm zum Glück auf Erden fehlte, war eine Frau, die das Leben mit ihm teilte. Bei dieser Überlegung ließ er sich weniger von seinen Gefühlen als von seiner Vernunft leiten. Persönlich ertrug er die Ehelosigkeit ohne Not, ja, insgeheim scheute er sogar vor manchen Pflichten zurück, die eine Verheiratung zwangsläufig nach sich zog, hatte auch schon wie manch anderer Mann mittleren Alters und mittlerer Verhältnisse daran gedacht, eine Haushälterin zu nehmen, die sich ganz auf die häusliche Arbeit beschränkte und Sorge für die Mahlzeiten trug, ohne weitere Ansprüche zu stellen. Doch anders als die Philosophen, die der Ehe möglichst aus dem Wege gingen, weil diese selten Geld, fast immer aber Kinder eintrug, betrachtete Sartine die Heirat als wichtigen Schritt in seiner beruflichen Laufbahn. In seiner geordneten Welt gehörte eine Ehefrau so notwendig an die Seite eines Staatsdieners wie der linke Glockenturm von Notre-Dame an die Seite des rechten.
    Ob Sophie die Richtige war?
    Gerade kam sie aus der Küche, die Wangen gerötet von der Arbeit, sodass ihre grünen Augen noch heller zu leuchten schienen als sonst. Ihr Anblick berührte ihn so angenehm wie eine frische Meeresbrise. Ohne Zeit zu vertrödeln, trocknete sie sich die Hände an der Schürze und eilte zum Büfett, wobereits zwei Schankmädchen unter der Aufsicht des Patrons damit beschäftigt waren, die Bestellungen der aus dem Theater kommenden Besucher zu besorgen.
    Sartine ließ die Zeitung sinken und schaute ihr voller Wohlgefallen bei der Arbeit zu. Ihm war nicht verborgen geblieben, dass die neue Kellnerin des »Procope« sich von ihren Kolleginnen auf erfreuliche Weise unterschied. Weder kokettierte sie mit den Gästen noch ging sie auf deren Annäherungsversuche ein. Das gefiel ihm

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