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Die Philosophin

Die Philosophin

Titel: Die Philosophin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Angebot auf zehntausend erhöhe? Das Leben ist teuer, Sie haben Verpflichtungen. Denken Sie an die nächste Miete!«
    »Und wenn Sie mir zwanzigtausend bieten – nein!«
    Jetzt ließ der Verleger seine Hand sinken. Dabei veränderte sich sein Gesicht wie das Wetter im April. Das Wohlwollen,das eben noch aus jeder Pore seiner weißlichen Haut zu strömen schien wie sein unaufhörlich fließender Schweiß, wich plötzlich einem verärgerten Ausdruck, und seine kleinen Augen blitzten gefährlich.
    »Ihr letztes Wort?«
    Diderot nickte.
    »Schade, ich hatte Sie für intelligenter gehalten. Leider habe ich Sie überschätzt.«
    Le Bréton stützte die Hände auf den Tisch, um seinen gewaltigen Körper in die Höhe zu stemmen. Der zierliche d’Alembert rückte beiseite, als fürchte er, von den Fleischmassen erdrückt zu werden.
    »Einen Augenblick!«
    Der Verleger blickte Diderot überrascht an.
    »Ich möchte Ihnen etwas anderes vorschlagen. Etwas Besseres als den Chambers.«
    »So? Da bin ich aber gespannt.« Le Bréton blieb einen Moment unschlüssig stehen, dann sackte er auf seinen Stuhl zurück. »Aber ich rate Ihnen, stehlen Sie mir nicht die Zeit!«
    Plötzlich spürte Diderot das Kneifen seines Rocks unter den Achseln, und die rauen Strümpfe juckten von den Füßen bis zu den Kniekehlen. Wieder musste er sich räuspern.
    »Lassen Sie uns eine eigene Enzyklopädie schreiben, Monsieur Le Bréton.«
    »Wozu?« Der Verleger blickte Diderot an, als zweifle er an dessen Verstand. »Mister Chambers hat doch eine ganz vorzügliche geschrieben! Sogar
ich
habe darin gelesen, und das will was heißen! Außerdem haben die Rechte mich ein Vermögen gekostet.«
    »Trotzdem! Das Buch ist nichts wert!«
    »Und warum, wenn ich fragen darf? Ganz Europa beneidet England darum.«
    »Dann irrt eben ganz Europa!«
    »Außer Ihnen …«
    »Außer mir! Und dem gesunden Menschenverstand!«
    »Kann es sein, dass Ihnen jemand was unter die Schokolade gemischt hat?«
    Diderot schüttelte den Kopf. »Nein, Monsieur, auch wenn Sie mich totschlagen: Die
Cyclopedia
ist nichts wert. Und ich sage Ihnen auch, warum: Weil eine Enzyklopädie nie das Werk eines einzelnen Menschen sein kann.«
    »So ziemlich jedes Buch ist das Werk eines einzelnen Menschen.«
    »Eine Enzyklopädie ist viel mehr als ein Buch, das besagt schon der Begriff: ›Verknüpfung der Wissenschaften‹. Wie aber soll ein einzelner Autor es schaffen, das ganze System der Natur und des Geistes zu erforschen und all die Kenntnisse darzustellen, die sich daraus ableiten? Oder glauben Sie, dass es Mister Chambers vergönnt war, alles kennen zu lernen, was man kennen lernen kann, alles zu verwenden, was je erschaffen wurde, und alles zu verstehen, was es zu verstehen gibt?«
    »Mag sein, dass die
Cyclopedia
unvollkommen ist«, erwiderte Le Bréton mit einem Schulterzucken. »Aber mein Gott, so ist das Leben!«
    »Sollen wir uns darum«, rief Diderot, »mit etwas Unvollkommenem begnügen? Wenn das Leben unvollkommen ist, müssen wir es verbessern! Nein, statt den Chambers zu übersetzen, sollten wir etwas völlig Neues wagen. Das Wissen eines einzelnen Menschen in einem Buch zu versammeln ist nicht genug – wir müssen das Wissen der ganzen Menschheitzusammentragen in einer wirklich vollständigen Enzyklopädie der Wissenschaften, Künste und Handwerke, die alle Zweige möglicher Erkenntnis umfasst.«
    »Wer um Himmels willen soll das tun?«, fragte d’Alembert.
    »Die Crusca-Akademie in Italien hat vierzig Jahre gebraucht, nur um das Vokabularium für ein solches Werk zu definieren. Das Unternehmen ist hoffnungslos gescheitert.«
    Le Bréton hob unwillig die Hand: »Reden Sie weiter, Diderot!«
    Der rückte mit seinem Stuhl an den Tisch, sodass er dem Verleger direkt gegenüber saß. »Lassen Sie uns eine Gesellschaft von Gelehrten und Philosophen gründen, die getrennt arbeiten, jeder für sich und auf seinem Gebiet, damit sie sich nicht mit Diskussionen die Zeit stehlen, die jedoch alle miteinander den großen Plan teilen – Dutzende, Hunderte von Autoren, die besten Köpfe Frankreichs, um jeden Gegenstand zu behandeln, der sich auf die Pflichten der Menschen bezieht, ihre Nöte, ihre Bedürfnisse, ihre Sehnsüchte und ihre Genüsse. Gemeinsam werden sie ein Buch schreiben, das die Welt aus den Angeln hebt, aufräumt mit dem Aberglauben und den Vorurteilen, die so viel Unglück über die Menschheit gebracht haben. Ein Buch, das nicht nur das Leben abbildet, wie es ist, sondern

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