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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Aber wie sind sie überhaupt auf den Gedanken gekommen, durch diese Einöde zu reiten?«
    »Ich habe sie davor gewarnt, die Hauptstraße zu nehmen, weil sie dort den rebellischen Söldnern direkt in die Arme gelaufen wären.«
    Für einen Augenblick bedauerte Tilla, dass es nicht so gekommen war. Dann aber sagte sie sich, dass ihre bösen Gefühle für Rigobert Böhdinger und ihre Verachtung für Anton Schrimpp sie nicht dazu treiben durften, ihnen Übles zu wünschen.
    Sie wechselte einen Blick mit Olivia, die ihre Frauen aufforderte, sich Ambros’ anzunehmen. Der erste Schluck, den er zu trinken erhielt, stammte noch aus dem Krug, aus dem sie auch den Reitern eingeschenkt hatten. Doch im Gegensatz zu diesen beschwerte Ambros sich nicht, sondern leerte durstig das Gefäß und bedankte sich scheu bei den Frauen.

X.
    Nach einigen Tagen hatte sich der Zustand der Pilger gebessert. Tilla, Hedwig, Dieter und Peter hätten längst weiterziehen können, ebenso Blanche, die langsam aus ihrer Starre erwachte, in die der Tod ihres Onkels und das Grauen des Überfalls sie versetzthatten. Sie alle wollten jedoch warten, bis die Verletzten so weit genesen waren, dass keine Gefahr mehr für ihr Leben bestand. Den Grafen würden sie wohl noch eine Weile tragen müssen, doch noch größere Sorge bereitete den Pilgern Vater Thomas’ Zustand, denn er schien diese Welt geistig verlassen zu haben. Der Priester des Dorfes, ein kleiner agiler Mann, der für einen Kleriker erstaunlich fröhlich wirkte, kümmerte sich um ihn und brachte ihn nach drei Tagen dazu, auf seine lateinisch geäußerten Worte zu antworten. Aber es bedurfte langer, geduldiger und oft sehr stockend geführter Gespräche zwischen den beiden, bis sich der Verstand des Pilgerführers zu klären begann.
    Als die Gruppe am fünften Tag das Abendessen im Kreise ihrer Gastgeber einnahm, sprach Vater Thomas zum ersten Mal seit dem Unglück das Gebet, mit dem sie Gott für seine Gaben dankten. Beim Essen war er jedoch ungewohnt ernst, und als die Schalen abgeräumt worden waren, warf er sich vor der Gruppe zu Boden und bat alle um Verzeihung. »Ich habe euch schlecht geführt, meine Kinder! Not und Tod habe ich über euch gebracht und euch in Schande gestürzt.«
    Sein Blick glitt zu Renata, die unter der sorgsamen Pflege, die Olivia und ihre Helferinnen ihr angedeihen ließen, langsam zu sich selbst zurückfand, und er schüttelte traurig den Kopf. »Ich bin es nicht wert, euch weiter zu führen!«
    Die anderen sahen sich bestürzt an, denn das klang so, als wolle er sie verlassen.
    Tilla schüttelte den ersten Schreck ab, sprang auf und stemmte die Arme in die Seiten. »Ihr habt weder die Söldner zu uns gerufen, noch seid Ihr für all die anderen Zwischenfälle verantwortlich, die uns unterwegs zugestoßen sind. Wohl sind zwei unserer Freunde tot, doch sie waren auf dem Weg nach Santiago und ich bin sicher, der heilige Jakobus wird sich ihrer Seelenannehmen und sie ins Himmelreich geleiten. Ihr jedoch, ehrwürdiger Vater, habt noch eine Pflicht zu erfüllen, nämlich uns, die wir noch am Leben sind, an unser Ziel zu führen und danach wieder nach Hause zu bringen. Ohne Euch sind wir wie Schafe ohne einen Hirten und wie ein Reich ohne König.«
    »Gut gesprochen, Tilla! Das ist auch meine Meinung!« Die Tage der Ruhe und Olivias Medizin waren Starrheim gut bekommen, und er barst bereits wieder vor Tatendrang. Peter hatte ihm eine Krücke geschnitzt, mit der er ein wenig herumhumpeln konnte. Für den weiteren Weg war dieses Hilfsmittel zwar keine Lösung, doch es gab ihm das Gefühl, nicht nur auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein.
    Vater Thomas zuckte wie unter Peitschenhieben zusammen, so sehr hatten Tillas Appell und Starrheims Worte ihn getroffen, und für einen Augenblick sah es so aus, als wolle er aufspringen und davonlaufen. Dann aber schlug er seine Stirn mehrfach hart gegen den Boden, so dass die meisten wieder um seinen Verstand fürchteten. Aber als er aufstand, war der nach innen gerichtete Ausdruck aus seinen Augen verschwunden. »Ihr habt Recht! Ich habe vor Gott, unserem Herrn, geschworen, euch zum Grabe des Apostels zu führen, und das werde ich tun.«
    »Danke!« Tilla fiel ein Stein vom Herzen, denn sie hatte erlebt, wie schwer es war, die Gruppe zu führen.
    Rudolf, der ebenfalls am Tisch saß, hatte Olivia das Gespräch leise übersetzt, und nun nickte die weiß gewandete Frau zufrieden und gab ihrem Priester ein Zeichen, sich wieder um Vater

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