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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Er begehrt dich jedoch mehr als die beiden anderen zur Frau.«
    Tilla drehte sich mit einer ärgerlichen Geste zu Olivia um. »Sei still! So etwas will ich nicht hören.«
    Sie erntete zuerst nur ein nachsichtiges Lächeln. Dann neigte ihre Gastgeberin kurz den Kopf und berührte ihre Schläfen mit den Fingerspitzen. Doch sie sagte nichts mehr, sondern drehte sich um und stieg die Treppe hinauf.
    Tilla folgte ihr mit schwirrendem Kopf. In den letzten Augenblicken war zu viel auf sie eingestürmt, und sie vermochte die Gedanken nicht so schnell zu ordnen, wie sie in ihr aufstiegen. Eines schien ihr jedoch gewiss: so stark, wie Olivia behauptete, begehrte Sebastian sie gewiss nicht. Sie erinnerte sich nur zu gut an die Mädchen, denen er zu Hause nachgeschaut hatte. Sie waren alle kleiner gewesen als sie und hatten an Brust und Hüften viel aufzuweisen gehabt.

XI.
    In einem sollte Olivia Recht behalten: Sebastian und Starrheim genasen zusehends. Auch wenn Letzterer noch nicht in der Lage war, weite Strecken alleine zu gehen, konnten sie doch daran denken, ihre Pilgerfahrt fortzusetzen. Die Dorfbewohner hatten eine stabilere Trage für den Grafen angefertigt und Riemen an ihr befestigt, die Dieter und Peter über die Schulter schlingen konnten.
    Für die überwältigende Gastfreundschaft, die man ihnen hatte angedeihen lassen, gestaltete sich der Abschied überraschend knapp. Der Priester des Dorfes sprach einige Segensworte, und ein paar Frauen reichten ihnen noch etwas Mundvorrat, gingen dann aber wieder an ihre Arbeit, ohne ihnen nachzuwinken. Olivia selbst sahen sie erst, als die letzten Häuser des Dorfes hinter ihnen zurückgeblieben waren. Sie stand halb verdeckt von den grünen Zweigen einer mächtigen Trauerweide und hobnur kurz die Hand. Dann sagte sie ein paar Worte und kehrte ihnen den Rücken zu.
    Tilla wollte ihr folgen, um ihr für alles zu danken, doch Starrheim hielt sie auf. »Sie wünscht uns allen viel Glück und ein Gelingen unserer geheimsten Wünsche. Dir aber lässt sie ausrichten, dass du an euer langes Gespräch denken sollst und an deine Tochter.«
    Sebastian lachte laut auf. »Tochter! Wie kommt Olivia denn darauf? Tilla hat doch noch gar kein Kind geboren.«
    Diese Worte regten Tilla so auf, dass sie ihn am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte. Manchmal war er wirklich ein Tölpel, wie es nur wenige geben konnte. Ausgerechnet er aber zählte zu den Männern, von denen sie Olivia zufolge einen heiraten sollte! Nein danke, sagte sie sich. Mit Sebastian verband sie wirklich nichts. Da war ihr Ambros schon lieber. Er mochte nicht der Mutigste sein, doch anders als Sebastian wusste er, wie er einer Frau unterwegs den Weg erleichtern konnte.
    Eine Verbindung mit Rudolf von Starrheim wies sie selbst in Gedanken weit von sich. Der Graf war nicht nur ein Mitglied einer der großen Familien des Reiches und musste auf seinen Stand und Rang Rücksicht nehmen, sondern auch mit einer jungen Dame hoher Abkunft verlobt. Nur seine überraschende Pilgerfahrt nach Santiago hatte verhindert, dass die Ehe bereits geschlossen worden war. Olivia muss phantasiert haben, sagte Tilla zu sich und schüttelte ärgerlich den Kopf. Ihr Blick streifte Sebastian, der ein jungenhaftes Grinsen aufgesetzt hatte, wohl weil es wieder weiterging, dann wandte sie sich noch einmal um. Von der hochgewachsenen Frau war jedoch weit und breit nichts mehr zu sehen.
    Traurig, weil ihre Gastgeberin sie ohne einen persönlichen Abschiedsgruß hatte ziehen lassen, kehrte Tilla dem Dorf denRücken und schritt kräftig aus. Auch wenn Vater Thomas wieder die Führung der Gruppe übernommen hatte, spürte sie, dass ein Großteil der Verantwortung immer noch auf ihren Schultern lastete. Doch ihr Wille, Santiago zu erreichen und ihren Schwur zu erfüllen, gab ihr die Kraft, auch diese Bürde zu tragen.

SECHSTER TEIL

Der Graf von Béarn

I.
    Alle Mitglieder der Gruppe atmeten auf, als die Berge endlich hinter ihnen zurückblieben und sie das flache Land an den Ufern der mächtigen Garonne vor sich sahen. Nun folgten sie wieder einem der großen Pilgerwege und vermochten die Nächte in Klöstern und Pilgerherbergen zu verbringen. Wohl war auch dieser Landstrich durch den großen Krieg zwischen Frankreichs König Karl und Englands Eduard III. in Mitleidenschaft gezogen worden, aber in ihm streiften keine rebellischen Söldner umher, und so konnten sie unbehelligt weiterziehen. Der kürzeste Weg nach Santiago hätte schnurstracks zum Pass von

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