Die Pilgerin
und Schrimpp zu Fuß gefolgt war, auf die Kirche zu und brach völlig erschöpft in die Knie. Auf seiner Stirn war eine verschorfte Verletzung zu erkennen und um seinen linken Arm hatte er einen schmutzigen Fetzen als Verband geschlungen.
Tilla war Olivia ins Freie gefolgt und starrte den Ankömmling verblüfft an. Es war Ambros. Außer sich vor Freude, ihn lebend zu sehen, eilte sie zu ihm, fasste sein Gewand und schüttelte den Kopf. »Du lebst! Wie ist das möglich?«
Ambros schien sich weniger zu freuen als Tilla, denn er sah so aus, als habe er eben all seine Verwandten bis ins hundertste Glied unter die Erde gebracht. Zuerst starrte er sie an, als sei sie ein Gespenst, und dann begann er zu schluchzen wie ein kleines Mädchen. »Tilla? Bist du es wirklich?«
»Natürlich bin ich es, und ich freue mich riesig, dass du ebenfalls am Leben bist. Wir glaubten, du seiest tot, und haben dich bereits betrauert.«
»Du sagst ›wir‹? Es sind also mehr der Unsrigen entkommen?« Ambros sah sie dabei mit so erstaunten Augen an, dass sie um seinen Verstand zu fürchten begann. Nach kurzem Nachdenken begriff sie, dass er kaum weniger schreckliche Dinge erlebt haben musste als sie selbst, und nickte. »Die meisten von uns sind entkommen. Wir haben noch rasch genug ein Versteck gefunden, in dem wir uns verbergen konnten. Ihr habt die Schurken ja lange genug aufgehalten, und Bruder Carolus hat sie von uns weggelockt. Er starb für uns, und Manfred ist ebenfalls tot!«
»Gott sei ihren armen Seelen gnädig!« Obwohl ehrliche Trauer in Ambros’ Stimme lag, atmete er sichtlich auf. Dann fasste er Tillas Kittel und lächelte unter Tränen.
»Ich hielt euch alle für tot, abgeschlachtet von diesen Ungeheuern in Menschengestalt! Es war alles so entsetzlich. Ich bin mit Starrheim und den anderen auf die Schreie zugelaufen und habe die Reiter gesehen, die von den Söldnern überfallen worden waren. Weil es so viele waren, wollte ich wieder umkehren, doch unser heißsporniger Graf hat sich auf die Angreifer gestürzt und dafür gesorgt, dass das Mädchen, das bei den Überfallenenwar, fliehen konnte. Sebastian und Manfred haben ebenfalls die Kerle angegriffen. Aber ich … ich bin ins Gebüsch gekrochen und habe dort wie zu Stein erstarrt gekauert, ohne zu wissen, was ich tun sollte. Die meisten sind vor meinen Augen von den Marodeuren zerfleischt worden. Ich sah Manfred blutüberströmt und mit gespaltenem Schädel zu Boden sinken und bekam auch mit, wie Starrheim und Sebastian immer wieder verwundet wurden. Dennoch habe ich es nicht fertig gebracht, ihnen beizustehen. Ich war wie gelähmt, verstehst du?«
Er brach ab und starrte auf seine Hände. »Ich bin doch stark wie ein Bär und habe immer geglaubt, mich vor nichts fürchten zu müssen. Doch statt zu kämpfen, konnte ich nur dahocken und hinstarren. Ich habe wie Espenlaub gezittert! Als man mich entdeckt hat, musste ich mich gegen zwei der Kerle zur Wehr setzen und habe mehrere Wunden davongetragen, ehe ich auf den Beinen war. Voll von Schmerz und Todesangst habe ich dann die Flucht ergriffen. Die Schurken wollten mich verfolgen, aber nach ein paar Schritten haben sie ihre Kameraden triumphierend schreien gehört, als hätten diese noch andere Opfer entdeckt, und kehrtgemacht. Ich aber bin gerannt wie noch nie in meinem Leben. Euch habe ich alle für tot gehalten, und als ich nach langem Herumirren durch die Berge auf deine einstigen Verfolger getroffen bin, habe ich sie angesprochen, in der Hoffnung, sie würden Erbarmen mit mir haben, wenn ich ihnen Nachricht über dein Schicksal brächte. Ich hatte rein gar nichts mehr, verstehst du? Nur noch den Kittel, den ich am Leibe trage.«
Tilla musterte Ambros nachdenklich. Während seiner Flucht hatte er alles verloren, seine Pilgertasche, den Stab, den Hut und sogar die Pelerine. Er war nun nicht mehr als ein Bettler in einem fernen Land, und sie verstand, dass er sich von Böhdinger und Schrimpp Hilfe erhofft hatte. Doch genauso gut hätte ereinen Skorpion um Almosen bitten können. Sie dachte aber auch daran, dass sein Handeln ihr zum Guten ausgeschlagen war, und strich ihm lächelnd über die Wange.
»Beruhige dich, mein Guter, und komm mit. Hier erhältst du Essen und Wein und kannst deine müden Glieder ausruhen. Im Übrigen hast du mir einen großen Gefallen erwiesen. Jetzt, da meine Verfolger glauben, ich wäre tot, werden sie wieder in ihre Heimat zurückkehren und ich kann meine Pilgerfahrt ohne Sorge beenden.
Weitere Kostenlose Bücher