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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Brücke. Deren seltsamstes Merkmal war eine turmartig aufragende Wehrmauer mit einem Tor, das jederzeit von der Stadtseite aus geschlossen werden konnte. Tillas Gruppe musste die Brücke jedoch an diesem Tag nicht überqueren, daher wandte sie sich dem nächstgelegenen Stadttor zu.
    Die beiden Wächter waren Pilger gewöhnt und blieben daher lässig auf den von der Sonne erwärmten Steinen sitzen und zeigten in die Gegenrichtung. »Die Pilgerherberge liegt jenseits der Brücke, wenn ihr den Zoll bezahlen könnt«, sagte einer von ihnen.
    »Und wenn nicht?«, fragte Tilla nach und brauchte nicht einmal Starrheim dafür.
    »Dann müsst ihr hier einen Tag arbeiten. Irgendetwas findet sich immer, und wenn es nur ein paar Weinfässer sind, die in Fébus’ Keller geschafft werden müssen.«
    Tilla runzelte die Stirn. »Fébus? Wer ist das?«
    »Na wer wohl? Unser Graf Gaston natürlich. Er wird Fébus Apollon genannt, nach irgendeinem heidnischen Gott, der so schön gewesen sein soll wie kein anderer.«
    »Und schön ist unser Graf, das könnt ihr mir glauben«, warf der andere Torwächter ein.
    »Nun, wir werden uns überzeugen können, denn zu Graf Gastonwollen wir.« Starrheim lächelte dabei freundlich, doch die beiden Torwachen winkten nur spöttisch ab.
    »Wollen könnt ihr viel, aber ob ihr dürft, liegt nicht in eurer Hand.«
    Starrheim wollte auffahren, doch da trat Blanche vor und musterte die beiden Männer wie Molche, die sich auf dem warmen Sandstein aufwärmen wollen. »Ich bin Blanche de Coeurfauchon, das Mündel des Grafen. Ihr werdet mir den Weg freigeben.« Sie sprach den weichen Dialekt des Südens, doch in ihrer Stimme lag eine Kraft, die Tilla dem jungen Mädchen nicht zugetraut hätte.
    Die beiden Wächter sprangen unversehens auf und verbeugten sich vor Blanche. »Verzeiht, Herrin, aber …«
    »Lasst uns durch!« Blanche scheuchte die Männer mit einer knappen Handbewegung beiseite und passierte das Tor. Die Pilgerschar folgte ihr sofort, froh, der lästigen Diskussion mit den Wachen oder gar dem Zahlen eines Torzolls entkommen zu sein.
    Orthez war keine große Stadt, doch man hatte die Gassen mit kopfgroßen Flusskieseln gepflastert und kehrte sie dem Anschein nach öfter, als Tilla es von Tremmlingen gewohnt war. Die Leute hier schienen auch alles andere als verängstigt zu sein, denn sie begafften die Gruppe neugierig. Die Frauen trugen weite Röcke und oft zwei bunte Schürzen übereinander, dazu ebenso gemusterte Schultertücher und weiße oder rote Hauben, während die Männer in dunklen Hosen und hellgrauen Kitteln steckten und über den Holzschuhen Gamaschen angelegt hatten, die bis zu den Knien reichten. Auf ihren Köpfen saßen entweder weite Schlapphüte oder randlose Kappen. Obwohl alle versuchten, fürchterlich beschäftigt auszusehen, hatten sie Zeit, ihre Gedanken bezüglich der Fremden auszutauschen, undwunderten sich dem Anschein nach, dass so schlicht gekleidete Wanderer es wagten, sich dem Sitz des Grafen zu nähern.
    In der Burg, die etwas erhöht über dem Rest der Stadt lag, war man bereits auf die Gruppe aufmerksam geworden. Ein Untergebener des Oberhofmeisters kam Tilla und ihren Leuten entgegen. Die Frage, die er hochmütig hatte stellen wollen, erstarb ihm jedoch auf den Lippen, als er Blanches ansichtig wurde.
    »Ihr, Herrin, in dieser Gesellschaft?« Sein ganzes Gesicht drückte Verwunderung und Unglauben aus.
    Starrheim trat auf ihn zu und musterte ihn von oben bis unten. »Du siehst Rudolf von Starrheim-Habsburg vor dir, jetzt ein demütiger Pilger vor dem Herrn, aber dennoch nicht gewillt, fehlende Achtung ohne Widerrede hinzunehmen.«
    »Diese guten Leute haben mir das Leben gerettet«, setzte Blanche mit einem zornigen Blick hinzu.
    Der Hofbeamte kam zu der Überzeugung, dass die Situation seine Kompetenzen überschritt, und trat mit einer Verbeugung beiseite. »Verzeiht, meine Herrschaften. Ich werde euch zu Fébus bringen.« Für sich dachte er, dass das Erscheinen einer solchen Schar seinen Herrn wahrscheinlich mehr amüsieren würde als die Darbietungen der Gaukler, die er an den Hof gerufen hatte.
    Blanche, die bereits früher einmal in Orthez geweilt hatte, übernahm nun die Führung und betrat das aus Sandsteinquadern errichtete Hauptgebäude der Burg. Hatte die Wehranlage von außen einen abweisenden Eindruck gemacht, so traten die Pilger nun in eine wie verzaubert wirkende Welt, in der kunstvoll gewebte Wandteppiche beinahe jeden Quadratzoll der Wände

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