Die Pinabriefe
ich nie erfahren, ob die Frau mit den Blumen den Mann mit dem Hut kriegt. Sie steht auf und tastet sich durch das dunkle Zimmer bis zur Küche.
Mist! Keine Sicherung in der Schublade. Die Nachbarin zieht sich ihren Morgenmantel über, nimmt die Schlüssel und geht zur Tür hinaus.
Der Hausmeister Franz sitzt an seinem Arbeitstisch und schreibt. Jetzt nimmt er einen Schluck Bier aus der Flasche, schaut auf das karierte Blatt Papier und liest sich den neuen Brief noch einmal vor:
Franz lächelt und will weiterschreiben, da klingelt es an der Wohnungstür. Es ist die dicke Nachbarin.
»Ach, entschuldigen Sie die Störung, aber ich komme in einer Angelegenheit von dringlichster Wichtigkeit! Mir ist eine Sicherung durchgebrannt. Mein Licht ist aus!«
Franz sagt nichts und geht nach hinten in die Werkstatt, und als er nicht gleich zurückkommt, fragt die Nachbarin: »Darf ich reinkommen?«, und schon steht sie mitten im Wohnzimmer.
»Oh, Sie haben aber viele schöne alte Möbel, haben Sie die geerbt?«
Franz kommt zurück und gibt der dicken Nachbarin eine Sicherung. Die Nachbarin sieht sich immer noch um und dann entdeckt sie den Brief.
»Ach, Sie schreiben?«
Der Hausmeister Franz stellt sich vor den Schreibtisch.
»Sie schreiben sicher der kleinen Henrietta, stimmt's?« Die dicke Nachbarin zwinkert dem Hausmeister verschwörerisch zu. »Ich fand das wirklich süß von Ihnen, das mit dem Brief meine ich.«
»Mmmh!«
»Wie geht denn die Geschichte weiter?!«
Aber der Hausmeister Franz will nicht reden, und er könnte es auch gar nicht, denn er weiß nicht, wie die Geschichte weitergeht. Im besten Falle geht sie weiter, wie es immer weitergeht, einfach so, immer weiter... Franz schweigt.
»Na ja, wenn Sie nicht wollen... aber ich lese es sowieso. Henrietta kommt nämlich immer zu mir, damit ich ihr die Briefe vorlese!« Franz schweigt und die Nachbarin merkt, dass es keinen Zweck hat, und beschließt zu gehen. »Na ja, vielen Dank für die Sicherung. Gute Nacht!«
Franz schließt die Tür und kehrt an seinen Schreibtisch zurück.
Am nächsten Morgen ist Henriettas Mama schon lange fort und Henrietta wird von der Nachbarin geweckt. Sie klingelt Sturm an der Tür und Henrietta öffnet im Schlafanzug.
»Und, schon Post gekriegt?«, fragt die Nachbarin. Henrietta schaut nach, ob ein Brief hinter dem Klingelknopf steckt.
»Komisch, gestern war da einer!«
»Vielleicht unter der Matte!«
Henrietta hebt die Fußmatte hoch und tatsächlich, die dicke Nachbarin hat sich nicht getäuscht. Ein wunderschöner Brief aus Regenbogenland.
»Joi! Mit bemaltem Umschlag!«, ruft Henrietta und läuft in die Küche.
Henrietta und die Nachbarin bestaunen den wild bemalten Umschlag. Henriettas Name in geschwungenen Linien und in Regenbogenfarben. Beide sind ganz aufgeregt.
»Schnell! Mach auf, ich will wissen, was er geschrieben hat!«
»Er?« Henrietta schaut die Nachbarin an.
»Hab ich 'er' gesagt, ich meine natürlich sie, ich meine natürlich, was die Pina über ihn geschrieben hat ...«
»Über wen?«
»Na über den Regenbogenmaler!«
»Ach so.«
Henrietta nimmt eine Schere aus der Schublade und öffnet vorsichtig den Brief.
»Eigentlich ganz nett, dass sie weg ist!«, denkt sie. »Man kriegt jeden Tag Post!«
Die Nachbarin holt ihre Brille aus dem Etui und liest:
»So eine Frechheit!«, ruft die Nachbarin, »den Kopf abgeschraubt!«
»Aber wenn sie dann doch wieder leuchtet!« Henrietta ist sehr zufrieden mit dem Brief und zuppelt der Nachbarin am Ärmel.
»Du? Wenn morgen wieder Post kommt, dann lesen wir zusammen, oder?«
Die Nachbarin reibt sich das runde Kinn. »Na mal sehen«, sagt sie, aber als Henrietta sie mit großen Augen ansieht, sagt sie: »Ganz bestimmt!«
4. KAPITEL, IN DEM EIN VERLORENER VATER EINE WÄRMEMASCHINE REPARIERT
Heute ist Henrietta ganz alleine aufgestanden und schon früh zur Tür gelaufen, um nachzusehen, ob Pina wieder einen neuen Brief geschrieben hat. Aber es ist kein Brief zu finden. Henrietta zieht sich an und nimmt die Schlüssel mit, vielleicht liegt der neue Brief ja unten im Postkasten.
Im Hof sitzt Franz der Hausmeister. Die Heizung ist noch immer kaputt und Franz hat einen Teil der Anlage auf einer Kiste vor sich ausgebreitet. Seine Hände sind schmutzig, sein Gesicht und seine Hose sind
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