Die Poison Diaries
wenn der Wind hindurchfährt.
Leg dich hin, Liebes. Ich möchte dich zwischen dem Laub liegen sehen.
Aber die Erde ist hartgefroren.
Leg dich hin und sei ruhig.
Sie legt sich auf den Boden und blickt zum Himmel empor.
Und jetzt?
Warte ab.
Auf meinen Befehl hin schieben sich dünne Wurzelfäden aus der Erde und wickeln sich um ihren Körper.
Nein.
Ich möchte dich in Spitze gekleidet sehen. Wie eine Braut.
Langsam, zärtlich streichelnd, weben die hauchdünnen Wurzeln ein Netz um sie. Sie keucht leise. Würmer kriechen aus der Erde und schieben sich windend über ihr bleiches Fleisch.
Hast du Angst?
Schnelle Atemstöße stehen weiß vor ihrem Mund in der kalten Luft.
Eine dumme Frage, ich weiß.
Ich mache eine Handbewegung, und die Wurzeln legen sich über ihr Gesicht, wie ein Schleier. Ein Hochzeitsschleier. Sie stöhnt und schließt die Augen. Sie hat ja keine Ahnung: Das ist erst der Anfang unseres gemeinsamen Lebens.
Schau mich an, Jessamine. Schau mich an.
Böses Mädchen. Sie gehorcht mir nicht. Ich krümme den Finger, und die feinsten Wurzeln schlingen sich um ihre Wimpern und ziehen die Augenlider nach oben. Die schreckengeweiteten Pupillen tanzen wild vor Angst in den Höhlen herum. Sie kann nicht einmal mehr blinzeln ohne meine Erlaubnis.
Verstehst du jetzt?
Dieser Moment muss ausgekostet werden. Der Moment, in dem der Kampf beendet ist. Wenn alle Hoffnung verloren ist und der Schrecken zu Ergebung wird, wenn die Beute dem Raubtier die Kehle darbietet und um einen letzten Liebesdienst bettelt –
Bring es schnell zu Ende! Diesem Moment haftet eine Zartheit an …
Ich empfinde das Glück dieses Moments, als sich ihre wilden, feuchten Augen mir zuwenden. Wen sonst kann sie noch anblicken? Ich bin ihre Welt, und sie gehört mir. Aber trotzdem muss ein Gentleman die Angebetete fragen. Auf Knien, wie es einem Prinzen gebührt, der sich seine Braut erwählt hat.
Willst du die Meine sein, mein Herz? Willst du mir gehorchen, mit deinem ganzen vergifteten Herzen?
Ja
, flüstert sie.
Es sei denn, du lässt mich sterben.
Du weißt doch, dass ich das nie tun würde.
Mit einem Wink gebiete ich den Wurzeln, ihre Augen zu schließen und dann zu versiegeln. Tausend fadendünne Finger flechten sich in ihre Haare. Sie zupfen und ziehen ihren hübschen Kopf nach hinten. Sie stößt einen leisen Schrei aus. Ich nicke, und sie ziehen sich enger um sie, bis mein Juwel fest eingesponnen ist. Eine Meerjungfrau, gefangen im Netz des Fischers. Endlich mein.
Ich deute nach unten, auf die Erde. Die Wurzeln gehorchen; sie können nicht anders. Hinunter in den Schmutz sinkt sie, ein Glied nach dem anderen, bis ihr Körper gänzlich vom dunklen Krumen der Erde bedeckt ist. Nur Nase und Mund sind noch zu sehen. Dieser liebliche, blütengleiche Mund. Nach Luft schnappend, so rund wie das Maul eines Karpfens. So lieblich.
Ich küsse sie zart auf diese zitternden Lippen.
Willst du die Meine sein?
Ja.
Schwör es, mein Herz. Bei dem Leben, das dir das liebste ist. Ich weiß, es ist nicht dein eigenes.
Ich schwöre. Bei Weeds Leben schwöre ich.
Bei seinem Leben. Denk an diesen Schwur, wenn du jemals auf die Idee kommen solltest, mir den Gehorsam zu verweigern. Wie hilflos und unwiderstehlich du bist! So hübsch eingepackt in die schwarze Erde, wie ein Geschenk, das nur ich auswickeln kann. Dein Anblick raubt mir den Atem, Jessamine.
Vor Leidenschaft entbrannt küsse ich sie wieder und lege mich auf sie. Ich behüte sie unter meinem grünen Baldachin. Meine Gestalt verändert sich. Meine Blätter und Zweige öffnen und entblößen sich. In mir strömt der Saft; dicke Knospen wachsen an den Stängeln, und Wurzeln suchen nach Wasser. Meine Blätter wenden sich dem Licht zu. Aber jetzt ist nicht die rechte Zeit. Der Winter kommt, und wir müssen hinab. Hinab, hinab, hinein in die faulige, wurmige Erde. Nach unten zieht es uns, mich und meine Geliebte …
Lieber Herr, Oleander … wohin bringst du mich?
Es ist Zeit, nach Hause zu gehen, mein Liebling. In unser Zuhause.
Kapitel 19
D ie Häfen von Padua und Venedig sind geschlossen, seitdem sich die Nachricht vom Anschlag auf das Leben des englischen Königs verbreitet hatte. Es gibt keine Möglichkeit, das Land auf dem Seeweg zu verlassen, und so mache ich mich – trotz der Proteste von Signora Baglioni, die mein Vorhaben idiotisch nennt – zu Fuß auf den Weg über die Berge, quer durch das kriegsgeschüttelte Frankreich bis nach Calais.
Ich sehe Dinge,
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