Die Priesterin von Avalon
ihrer Anhänger zu buhlen wie die Beamten bei den Wahlen oder die Philosophen, die andere Schulen als Irrtum abkanzelten, oder wie die Christen, die einfach konstatierten, dass alle anderen Religionen falsch waren.
Diese Anerkennung einer Macht, in deren Licht alle Glaubensrichtungen als gleichwertig dastanden, erinnerte mich an die Lehren, die mir als Kind auf Avalon beigebracht wurden, und bei diesem Gedanken stiegen auch mir Tränen der Dankbarkeit in die Augen.
16. Kapitel
A. D. 316
Am Strand von Baiae zu sitzen war geradeso, als befände man sich im Herzen der Sonne. Das Licht wurde mit blendender Helligkeit vom weißen Sand einer Bucht reflektiert, deren Wasser in klarem Azurblau glitzerte, eine Nuance dunkler nur als das Blau des Himmels. Für ein Kind aus dem Norden war dieses Licht überwältigend, das jedes Dunkel ausleuchtete, nicht nur im Körper, sondern auch in der Seele. Auf der Terrasse zwischen Meer und Süßwasserbecken liegend, spürte ich, wie die Hitze den Schüttelfrost versengte, der sich im römischen Winter in meinen Knochen festgesetzt hatte.
Außerdem hatte ich das Gefühl, dass sich auch die Ängste der vergangenen Jahre in Wohlgefallen auflösten. Es gab zwar noch immer Menschen, die meinen Sohn anfeindeten, doch er hatte sich als hervorragender General erwiesen, und ich zweifelte nicht mehr daran, dass er eines Tages die höchste Stelle im Imperium einnehmen würde.
Der kaiserliche Haushalt hatte sich für einige Jahre in Rom niedergelassen. Die große Stadt, im Winter von frostiger Kälte geplagt, war jedoch im Sommer ebenso schlimm, wenn sich eine feuchte, stickige Hitze über die sieben Hügel legte. Fausta, die im neunten Monat ihrer ersten Schwangerschaft war, hatte sich beklagt, sie ersticke bei der Hitze. Deshalb hatte ich den kaiserlichen Haushalt in den Palast verlegt, den Kaiser Severus fünf Jahre zuvor an der Bucht von Puteoli im Golf von Neapel hatte errichten lassen.
Fausta lag neben mir auf einer Liege im Schatten eines Sonnensegels. Zwei Sklaven fächelten ihr kühle Luft zu. Ich hatte einen Hut aufgesetzt, der meine Augen überschattete. Ich empfand die Hitze überall in Italien gleich stark, doch an der Küste war die Luft von einer Reinheit, die ebenso belebte wie überwältigte; daher verbrachte ich die meiste Zeit in der Sonne und lauschte dem Säuseln der glitzernden Wellen am Ufer. Hin und wieder schallte Lachen aus dem Schwimmbecken herüber, wo Crispus mit den Söhnen römischer Patrizier spielte, die mitgekommen waren, um ihm Gesellschaft zu leisten. Wenn ich mich umdrehte, konnte ich ihre geschmeidigen jungen Körper im goldenen Sonnenlicht aufblitzen sehen. Crispus war jetzt vierzehn, stämmig wie sein Vater, und hatte eine Stimme, die größtenteils schon männlich klang. Als mein Sohn fünfzehn wurde, war er bereits seit zwei Jahren am Hof Diokletians gewesen. Jedes Jahr, das Crispus noch bei mir blieb, war ein Segen, als würden die Jahre, in denen Konstantin für mich verloren war, nachgeholt.
Von Konstantin selbst sah ich nur wenig. Maxentius' Niederlage hatte ihn zum uneingeschränkten Herrscher des Westens gemacht. Licinius war jetzt sein Schwager, doch der Pakt, den die beiden Kaiser geschlossen hatten, hielt nicht lange. Innerhalb von zwei Jahren setzte eine Reihe von Konflikten ein, die ein ganzes Jahrzehnt anhalten sollten. Dennoch fühlte sich mein Sohn jetzt so sicher, dass er mit Fausta schlief. Mit dreiundzwanzig war sie schließlich schwanger geworden. Sie schwor, es würde ihrer Zuneigung zu Crispus keinen Abbruch tun, und tatsächlich hatte sie ihn als ihr gemeinsames Kind mit Konstantin adoptiert. Dennoch kam ich nicht umhin, mich zu fragen, ob ihre Haltung sich ändern würde, wenn sie erst ein eigenes Kind hätte.
Der Lärm aus dem Schwimmbecken nahm zu, als die Kinder aus dem Wasser stiegen. Boreas und Favonia, die im Schatten meiner Liege schliefen, hoben sofort wachsam die Köpfe. Ihre buschigen Schwänze schlugen sacht auf die Fliesen. Sklaven eilten mit Handtüchern herbei, um die Jungen abzutrocknen, während andere Tabletts mit Obst und kleinen Pasteten heraustrugen. Dazu wurde Minzwasser gereicht, mit Eis gekühlt, das eigens aus den Alpen herbeigeschafft und in einem tiefen Keller in Stroh verpackt gelagert wurde. Drusilla hätte angesichts einer solchen Verschwendung verächtlich geschnaubt, doch sie war in dem Jahr nach Konstantins großem Sieg gestorben. Bei all dem Luxus, in dem wir schwelgten, fehlten mir ihre
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