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Die Priesterin von Avalon

Die Priesterin von Avalon

Titel: Die Priesterin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley , Diana L. Paxson
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ausgesehen hatte. Ich stand in einer Menschenmenge vor dem Felsbuckel. Drei Kreuze waren dort aufgerichtet, und am mittleren sprossen plötzlich Blätter und Zweige und sternenförmige weiße Blüten. Es war kein totes Holz, sondern ein lebender Baum, den wir verehrten, Erneuerung statt Opfer.
    Und wieder veränderte sich das Bild. Es war Abend, und die Stadt bebte unter einem bedrohlichen Himmel. Zwei Männer trugen eine primitive Bahre von Golgatha herab, weinende Frauen folgten ihnen. Sie trugen den zerbrochenen Leib eines Mannes. Als sie sich der Bergseite näherten, an der die Gräber lagen, bedeutete ihnen ein Soldat, sie sollten sich beeilen. Da legten sie die Leiche in eine der dunklen Öffnungen und betteten sie auf den festen Lehmboden. Ein großer Stein lehnte am Berg; die behauenen Ränder schimmerten weiß. Stöhnend gelang es den beiden Männern, ihn vor die Öffnung zu rollen.
    Dann ging der jüngere Mann zu den Frauen zurück und versuchte sie zu trösten. Der Ältere aber hielt einen Moment lang inne. Er sah, dass der Römer die anderen beobachtete, und zog heimlich mit dem Finger das Zeichen eines Geweihten der höchsten Mysterien auf den Stein. Er war besser gekleidet als die anderen - ein Mann mittleren Alters mit leicht ergrautem Bart. Als er sich umdrehte, erhellten die letzten Sonnenstrahlen sein Gesicht. Mit der Sicherheit der Träumenden erkannte ich in ihm nicht nur den Einsiedler, dem ich am Toten Meer begegnet war, sondern auch den alten Mönch, mit dem ich vor so langer Zeit auf Inis Witrin gesprochen hatte.
    Am Morgen trug man mich zur Teilnahme an den Feierlichkeiten zur Wiederauferstehung in einer Sänfte hinaus, denn ich war zu schwach, um zu Fuß zu gehen. Es war ein schöner, klarer Tag, und über dem Raunen der Menge erhob sich der triumphale Chor der Vögel. Der tiefe Gesang der Priester ließ mich schaudern. Gold und Juwelen auf den Roben der Priester blitzten in der Sonne auf, und der Dunst des Weihrauchs vom Altar, den sie vor den Gräbern aufgestellt hatten, hing in blauen Schwaden in der ruhigen Luft.
    Hier ist Macht , dachte ich, als die Messe zu ihrem Höhepunkt kam. Es mag nicht die einzige Wahrheit der Welt sein, aber die Geschichte, die sie erzählen, stimmt . Ich spürte, wie wieder Leben in meine Glieder einkehrte, und als der Bischof die Hände erhob, um uns zu entlassen, stieg ich aus der Sänfte. In der Morgensonne waren die offenen Gräber deutlich hinter dem Altar zu sehen. Vor einer Graböffnung lag der Teil eines großen Steines.
    Wenn es tatsächlich so gewesen war, wie es in den Evangelien beschrieben wurde, dann hätten die Ereignisse einen Eindruck der Macht in dem Grab hinterlassen, einer so großen Macht, dass ich Angst hatte, den Stein auch nur zu berühren. Doch vielleicht könnte ich das Zeichen auf dem Stein suchen, denn ich war eine Geweihte derselben Mysterien.
    Ich trat auf den Stein zu, und mir war nicht einmal bewusst, dass die Menschen still geworden waren und mich beobachteten, denn ich starrte unverwandt in die dunkle Öffnung hinter dem Stein.
    Auf dem felsigen Untergrund lagen weiße Blütenblätter vom heiligen Dornbusch verstreut.

    Ich blieb das ganze Frühjahr hindurch bis in den Sommer hinein in Hierosolyma und verhandelte mit den Architekten, die Konstantin geschickt hatte, um Kirchen auf den von mir entdeckten heiligen Stätten zu errichten. Von meinem Fenster aus konnte ich die Grundmauern der Kirche der Heiligen Grabstätte sehen, deren langgestrecktes Schiff nach Osten zeigte, wie es in Konstantins Kirchen üblich war. Wenn man die Türen öffnete, erstrahlte der Hochaltar im Licht der aufgehenden Sonne. Den Fels von Golgatha hatte man so behauen, dass er in den Kirchhof auf der südlichen Seite passte, und der Berghang hinter dem Grab war so weit abgetragen worden, dass ein Rundbau darüber entstehen konnte.
    Man hatte mich dazu erzogen zu glauben, dass sich die ewigen Mächte nicht in Tempeln von Menschenhand einschließen lassen, dass heilige Räume zu verehren, nicht zu besitzen seien. Doch wenn dieser vergoldete Bau, vom Boden bis zur Decke mit Mosaiken verziert, die Pilger eher mit der Pracht der Kirche als mit dem Wunder der Auferstehung beeindrucken würde, dann stand das in der Tradition des Mittelmeerraums.
    Ich sah eine Zeit voraus, in der die heidnischen Schreine, welche die Landschaft geheiligt und bei den Christen Anstoß erregt hatten, von christlichen Ikonen ersetzt wurden. Ich fragte mich, ob es dann noch Heiden

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