Die Priesterin von Avalon
seinem Nachfolger, war wenig bekannt, nur dass er irgendwo an der Donau aufgewachsen war und ein guter Truppenführer sein sollte. Größere Sorgen bereiteten uns die sächsischen Piraten, welche die Südküste Britanniens in immer größerer Zahl heimsuchten.
Dennoch lag die sächsische Küste in weiter Ferne. Als die Erntezeit nahte, rückte auch die Zeit meiner Prüfung immer näher, und dieser Umstand flößte mir größere Furcht ein. Unsere letzten Lektionen oblagen der Hohepriesterin, und jetzt, da Ganeda erneut gezwungen war, meine Existenz wahrzunehmen, wurde deutlich, dass sie mir nicht mehr Zuneigung entgegenbrachte als zuvor.
Zuweilen hatte ich das Gefühl, als werfe sie mir meine Gesundheit und mein Leben vor, nachdem ihre eigene Tochter kalt unter der Erde lag. Sie hoffte, ich würde bei den Prüfungen versagen, in denen bestimmt wurde, wer des Titels einer Priesterin von Avalon würdig war. Aber würde sie so weit gehen und ihre Gelübde brechen, würde sie ihre übersinnlichen Kräfte einsetzen, um sich abzusichern?
Tag für Tag wachte ich morgens mit einem Druck im Magen auf und näherte mich dem Garten neben dem Haus der Hohepriesterin, in dem unser Unterricht stattfand, wie einem Schlachtfeld.
»Bald werdet ihr in die Außenwelt jenseits der Nebel gesandt, um Zeit und Raum zu überwinden, und, wenn ihr könnt, nach Avalon zurückzukehren.«
Es war ein schöner Tag kurz nach der Sommersonnenwende, und durch die Blätter des Hagedorns sah ich das blaue Glitzern des Sees. Heute waren die Nebel nur ein dünner Schleier am Horizont. Es fiel schwer, zu glauben, dass dahinter eine andere Welt liegen sollte.
Ich hatte den Eindruck, der Blick der Hohepriesterin ruhte länger auf mir als auf den anderen. Trotzig hielt ich ihrem Blick stand. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie es war, als ich das erste Mal durch die Nebel kam, als Suona die Pforte zwischen der Insel der Priesterinnen und der Welt der Menschen geöffnet hatte. Damals hatte ich ohne jegliche Ausbildung das undeutliche Gefühl gehabt, zu verstehen, was vor sich ging. Wenn bei der Prüfung alles mit rechten Dingen zuging, glaubte ich sie bei der guten Ausbildung, die ich genossen hatte, auch bestehen zu können.
»Aber ihr müsst wissen«, fuhr Ganeda fort, »dass man euch nicht nur vor eine Herausforderung, sondern auch vor eine Wahl stellt. Ihr werdet in der Kleidung einer Frau aus jener Welt fortgehen und mit genügend Mitteln ausgestattet sein, dass ihr Avalon für immer den Rücken kehren könnt. Wenn ihr dort seid, werdet ihr eine Mitgift zur Verfügung haben. Kein Gelübde wird euch binden, außer dem absoluten Tabu, die Geheimnisse von Avalon zu enthüllen. Ihr seid noch jung für das, was ihr alles schon gelernt habt, und habt doch von den Freuden des Lebens kaum gekostet. Geist und Körper zu disziplinieren, ohne Essen oder Schlaf auszukommen, mit einem Mann nur dann zu schlafen, wenn es dem Willen der Herrin entspricht, niemals eurem eigenen, heißt, auf das verzichten zu müssen, was die Göttin einer jeden Frau bietet. Ihr müsst überlegen, ob ihr wirklich zurückkehren wollt.«
Ein langes Schweigen trat ein. Dann räusperte sich Aelia.
»Hier ist mein Zuhause, und ich will kein anderes, aber warum muss es so schwer sein? Wenn die Leute da draußen nichts über Avalon wissen, was tun wir dann für sie, und warum?«
»Den Königsfamilien ist es bekannt«, wagte ich zu antworten. »Bei einer Missernte im Land schicken sie nach einer von uns, um das Große Ritual zu vollziehen - so geschah es, dass ich gezeugt wurde. Und sie schicken ihre Töchter zu uns, damit sie in den überlieferten Weisen unseres Volkes ausgebildet werden.«
»Aber die Römer haben Tempel und ziehen vom Volk Steuern ein, um die Gebäude zu unterhalten. Sollen sie doch mit ihren Opfergaben die Gunst der Götter gewinnen. Warum müssen wir so vieles aufgeben, obwohl wir so wenig Gegenleistung bekommen?«
Die Hohepriesterin lächelte säuerlich, doch sie schien nicht böse zu sein. Daher wagte ich erneut, Aelia zu antworten.
»Weil die Römer vergessen haben, was die Rituale bedeuten, wenn sie es überhaupt je wussten! Mein Vater sagte immer, wenn eine Zeremonie in Wort und Tat nur richtig ausgeführt werde, müsse die Gottheit tun, worum man sie bäte. Auch der unerschütterlichste Glaube helfe nicht, wenn eine Silbe falsch ausgesprochen werde.«
Mein freundlicher, netter Lehrer Korinthius hatte geglaubt, Rituale seien nur ein Mittel, die
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