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Die Priesterin von Avalon

Die Priesterin von Avalon

Titel: Die Priesterin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley , Diana L. Paxson
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Praktiken, die nur von den Priesterinnen ausgeübt wurden. Die eine war das Hellsehen im Heiligen Teich, eine andere das Ritual, bei dem eine Priesterin zur Zeit der großen Feste auf einem Hohen Sitz nach Eingebungen suchen sollte. Letzteres kannte ich nur vom Hörensagen, und wenn das Ritual stattgefunden hatte, nachdem ich bereits in Avalon war, so wussten nur die Priesterinnen der höheren Weihen davon.
    »Geht jetzt und ruht euch aus«, sagte Ganeda. »Ihr glaubt, ihr seid schon Seherinnen, nur weil ihr im Geist reisen könnt, doch das ist nur der erste Schritt. Roud hat ihre Monatsblutung und muss auf die nächste Gelegenheit warten, doch die anderen drei werden heute Abend versuchen, mit Hilfe von Feuer und Wasser wahrzusagen. Wir wollen sehen, ob eine unter euch die Orakelgabe besitzt.«
    Ihre Stimme klang barsch, und wir wagten ihr nicht in die Augen zu schauen. Ihre Tochter Sian war mit dem Zweiten Gesicht gesegnet gewesen, und seit ihrem Tod besaß Avalon keine Seherin mehr. Es musste schmerzvoll für meine Tante sein, an den Verlust erinnert zu werden, obwohl ihre Pflicht sie dazu anhielt, einen Ersatz zu suchen. Der Rückzug in die innere Welt war mir immer leicht gefallen, und ich fragte mich, ob ich wohl auch eine Begabung für das Hellsehen hätte. Angeblich wurden diese Gaben in einer Familie vererbt, demnach war es durchaus möglich. Ich hatte jedoch das unbestimmte Gefühl, dass es Ganeda nicht gefiele, wenn ich in die Fußstapfen ihrer Tochter träte.
    An jenem Nachmittag schrubbten wir die Steine des Prozessionsweges, denn Ganeda glaubte fest daran, dass körperliche Arbeit den Menschen ermüde und auf vordergründige Gedanken lenke. Ich vermute, die Plackerei sollte auch dazu dienen, dass wir uns nicht allzu viel auf unsere Ausbildung zu Seherinnen einbildeten.
    Trotz der Ablenkung spürte ich, wie ich mich innerlich verkrampfte, je länger die Schatten wurden. Als die Glocke die anderen zum Abendessen rief, gingen wir drei stattdessen zum See, um zu baden, denn die Arbeit, die uns bevorstand, gelang am besten, wenn man sich gereinigt und gefastet hatte.
    Als man uns zum Heiligtum am heiligen Brunnen führte, war es bereits dunkel. Wir trugen alle die gleichen weißen Kleider ohne Gürtel, die von den Schultern bis auf die bloßen Füße fielen, und Umhänge aus ungefärbter Wolle. Unser Haar lag lose auf den Schultern. Fackeln säumten den Pfad; ihr flackerndes Licht glänzte auf Herons dunklen Locken und legte einen feurigen Schein auf Aelias Haupt. Meine feinen Haare, die sich nicht bändigen ließen, seitdem ich sie zuletzt gewaschen hatte, wehten mir ins Gesicht, umrahmt von Licht.
    Durch diesen goldenen Schleier betrachtet, erschien mir der vertraute Weg mysteriös und fremd. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sich der Fastentag und die gespannte Erwartung vor der Trance allmählich bei mir bemerkbar machten. Ich hatte das Gefühl, dass es nicht so schwer fallen dürfte, sich vom normalen Bewusstsein zu lösen und zwischen den Welten zu wandeln. Ich fragte mich, ob die Regel, man müsse während des Fastens Eingebungen suchen, immer so klug wäre. Das Beherrschen des Traumbildes könnte in diesem Zustand vielleicht zu einem Problem werden.
    Auf der Steinterrasse stand ein Hocker, davor ein glühendes Kohlebecken. Neben dem Hocker befand sich ein kleiner, geschnitzter Tisch mit einem silbernen Krug und einem zusammengelegten Tuch. Schweigend nahmen wir unsere Plätze auf der Bank dahinter ein und warteten, die Hände auf den Knien. Tief atmeten wir die kühle Nachtluft ein.
    Mit einem anderen Sinn als meinem Gehör nahm ich etwas wahr. Ich drehte mich um. Zwei Priesterinnen näherten sich mit dem stillen, gleitenden Schritt, den ich so mühsam hatte erlernen müssen. Ich erkannte Ganeda an ihren straffen Schultern, noch ehe sie ins Licht trat. Hinter ihr folgte Suona. Sie hielt etwas in den Händen, das mit einem weißen Leinentuch bedeckt war.
    »Ist das der Gral?«, flüsterte Aelia mir zu.
    »Das kann nicht sein - die einzige Novizin, die ihn sehen darf, ist die Jungfrau, die ihn bewacht«, murmelte ich, während Suona ihre Last auf dem Tisch absetzte. »Das muss etwas anderes sein, aber es ist sicher sehr alt.« Alt und heilig , dachte ich, denn mir schien, als spürte ich bereits die Macht, die davon ausging.
    Suona zog das Leinentuch ab und hob den Gegenstand so hoch, dass sich das Licht der Fackeln darin fing. Es war eine silberne Schale, ein wenig verbeult, aber liebevoll

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