Die Priesterin von Avalon
warmen Schal umzulegen, ohne zu widersprechen. In Wahrheit würde es mir nicht Leid tun, an einem so strahlenden, unruhigen Tag aus dem Haus zu kommen.
Seit dem ersten Aufstand unter Civilis zur Zeit der ersten Agrippina, nach der die Stadt benannt wurde, war Colonia eine Grenzstadt gewesen. Andere Städte mochten ihre Verteidigungsanlagen vernachlässigen, doch Colonias Schutzmauern waren immer wieder erneuert worden, bis sie sich hoch und mächtig mit Wachtürmen in regelmäßigen Abständen erhoben. In Friedenszeiten konnten die Bürger die Treppen am Nordtor hinaufsteigen und bis zum Amtssitz des Statthalters an der Ostseite gehen. Hier waren die Ufer des Flusses bereits hoch, und von den Mauern herab hatte man einen phantastischen Blick auf die Brücke über den Rhenus und das freie Germanien auf der anderen Flussseite.
Ich ging hinter Konstantius die Steintreppe hinauf und stellte beruhigt fest, dass nicht seine Gesundheit das Problem war, denn er stieg hinauf, ohne eine Pause zum Luftholen einzulegen. Die festen Muskeln seiner Waden spannten sich bei jedem Schritt. Ich hingegen wünschte mir, ich hätte mich regelmäßiger bewegt, denn als wir oben ankamen, keuchte ich und musste stehen bleiben, um Atem zu schöpfen. Konstantius streckte eine Hand aus, um mich zu stützen. Dann trat er an die Mauer zurück, legte die Arme auf die Zinnen, schaute nach Norden, wo die Barken ruhig den Fluss hinabglitten, und wartete, bis ich neben ihn trat.
Inzwischen hatte ich ein beklemmendes Gefühl in der Magengegend. Nach so vielen Jahren kannte ich Konstantius' Launen so gut wie meine eigenen, und in diesem Augenblick strahlte er eine Mischung aus Verärgerung und Verwirrung aus, dass er überschattet schien, obwohl er in der Sonne stand. Als ich zu reden begann, ging er weiter, und ich folgte ihm. Ich musste abwarten, bis er den richtigen Zeitpunkt und Ort gefunden hatte.
Die Mauern der Befestigungsanlage am anderen Ende der Brücke leuchteten, und das Sonnenlicht glitzerte und funkelte auf dem blauen Wasser des Flusses, der an dieser Stelle schon breit und mächtig zum Meer hin strömte. Am Vorabend von Festen pflegte ich ein wenig Wein in den Fluss zu schütten und die Wassergötter zu bitten, ihn nach Britannien zu tragen. Als wir am Wachturm auf einem Eckpunkt vorbei auf das Prätorium zugingen, kam uns der Wind vom Fluss entgegen, und ich zog den Schal fester um mich.
Konstantius' Schritte wurden langsamer, und ich merkte, hier, auf halbem Weg zwischen dem Turm und dem Tor, an dem die Pflasterstraße zwischen der Stadtmauer und dem Säulengang des Prätoriums am breitesten war, musste die beste Stelle in Colonia sein, wo man reden konnte, ohne belauscht zu werden.
»Sicher«, sagte ich, »hast du mich nicht hierher gebracht, um über einen Verrat am Kaiser mit mir zu reden!« Ich blieb wie angewurzelt stehen, überrascht, dass die Angst meiner Stimme einen so scharfen Ton verliehen hatte.
»Sei dir nicht so sicher!«, antwortete Konstantius knapp. »Er hat mich in eine Lage gebracht, in der ich jemanden verraten muss. Mir bleibt nur zu entscheiden, wen…«
»Was soll das heißen?« Ich legte ihm die Hand auf den Arm, und er legte die seine darüber. Sein Griff war so fest, dass ich vor Schmerz zuckte. »Was hat er dir gesagt?«
»Diokletian hat eine Idee… eine Möglichkeit, wie er die kaiserliche Macht auf das gesamte Imperium ausweiten und eine friedliche Nachfolge sicherstellen kann. Er schwört, dass er und Maximian nach zwanzig Jahren Herrschaft zugunsten ihrer Cäsaren abdanken werden, die dann den Titel Augustus annehmen und zwei weitere benennen.«
Der Gedanke, dass ein Mann freiwillig die höchste Macht aufgeben würde, wunderte mich. Aber vielleicht mochte es gehen, wenn alle vier Kaiser einander in Loyalität verbunden blieben. Die Vorstellung von einem Imperium, das nicht von Bürgerkriegen über die Nachfolge zerrissen wäre, erschien mir wie eine Utopie.
»Also will er zwei Cäsaren ernennen…«, drängte ich, als das Schweigen zu lange anhielt.
Konstantius nickte. »Für den Osten soll es Galerius sein. Auch er ist ein Mann aus Dalmatien, ein harter Kämpfer. Man nennt ihn den ›Schäfer‹, weil sein Vater Kühe hielt…« Er merkte, dass er ins Schwafeln geriet, und verstummte. »Für den Westen… will er mich.«
Mir schien, als hätte ich es gewusst, noch ehe er es ausgesprochen hatte. Es war ein Lebenstraum, dieses Geschenk des Kaisers. Womöglich war es kein Geschenk, denn warum
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