Die Priesterin von Avalon
sein, wenn du mir zeigst, was ich tun soll…«
Ich schloss die Augen, und vielleicht wählte die untergehende Sonne gerade diesen Augenblick, um durch die hohen Fenster zu scheinen, oder eine der Tempeldienerinnen hatte eine Lampe in den Raum gestellt, denn plötzlich spürte ich strahlendes Licht. Obwohl ich die Augen geschlossen hielt, drang dieser Schein in die Dunkelheit, die meinen Geist umhüllt hatte, als Konstantius mich verließ, und ich wusste, dass ich weiterleben würde.
Londinium war die größte Stadt Britanniens, größer als Sirmium oder Treveri, wenn auch nicht ganz so groß wie Rom. Ich erwarb ein elegantes Haus im nordöstlichen Teil der Stadt an der Hauptstraße, die stadtauswärts nach Camulodunum führte. Es hatte einem Seidenkaufmann gehört, dessen Handel durch Karausius' Kriege unterbrochen worden war, und in diesem Teil der Stadt gab es noch genug offenes Gelände für Gemüsegärten und Weiden, sodass es beinahe wie auf dem Lande war.
Ich richtete mich in dem ruhigen Leben einer Witwe ein, für die mich die meisten Nachbarn hielten. Ich machte mir nicht die Mühe, diesen Irrtum richtig zu stellen, besuchte aber regelmäßig die Bäder, das Theater und die Märkte. Wie ein Legionär, der im Kampf ein Körperglied verloren hat, lernte ich dies zu überspielen und mich zeitweise sogar wie gewohnt an Dingen zu erfreuen, ohne sogleich daran zu denken, was ich nie wieder haben würde.
Von Zeit zu Zeit erreichten uns Neuigkeiten aus Rom. Konstantius hatte in den Iden des Mai Flavia Maximiana Theodora zur Frau genommen, in einem Monat also, der einer Ehe angeblich Unglück brachte. Ich musste mir eingestehen, dass ich hoffte, diese Überlieferung würde sich als wahr erweisen. Doch falls Konstantius noch um mich trauerte, hielt es ihn gleichwohl nicht von seinen ehelichen Pflichten ab, denn am Ende des Jahres erfuhren wir, dass Theodora ihm einen Sohn geschenkt hatte, den sie Dalmatius nannten.
Theodora war nicht nur jünger als ich, sondern sie schien zu den Frauen zu gehören, die schwanger wurden, sobald ihr Gemahl auch nur seinen Gürtel an den Bettpfosten hängte, denn nach Dalmatius brachte sie rasch hintereinander noch einen Sohn, Julius Konstantius, und zwei Töchter, Konstantia und Anastasia, zur Welt. Ich habe Theodora nie gesehen, deshalb weiß ich nicht, ob sie schön war, wie die Lobredner es zwangsläufig behaupten mussten.
Von Gerüchten innerhalb des Heeres war ich abgeschnitten, aber ich bekam das Gerede auf dem Markt mit, dem zufolge die politische Lage unruhig wurde. Nachdem er mit Theodora ein Kind gezeugt hatte, war Konstantius wieder zum Heer zurückgekehrt und setzte seine neu gewonnene Autorität als Cäsar dazu ein, Gesoriacum zu überfallen, den Hafen, den Karausius als seinen Ausgangspunkt im Norden Galliens unterhalten hatte. Die Hafenfestung war uneinnehmbar, doch mit dem Bau einer Mole zum Hafen war Konstantius imstande, den Ort von der Versorgung auf dem Wasserweg abzuschneiden, und kurz nach der Sommersonnenwende kapitulierte die Garnison.
Als Nächstes griff er an der Rhenusmündung die Franken an, die mit Karausius verbündet waren. Der Handel litt bereits, und jetzt begannen die Menschen zum ersten Mal gegen ihren selbst ernannten Herrscher zu murren. Es hieß, seine Gemahlin Teleri, die auf Avalon ausgebildet worden war, sei zu ihrem Vater zurückgekehrt, dem Fürsten von Durnovarien. Hatte sie ihren römischen Gemahl geliebt, fragte ich mich, oder war die Heirat eine politische Vereinbarung gewesen, sodass sie froh war, davon befreit zu sein? Wenn das stimmte, war die Verbindung dann vom Fürsten von Durnovarien oder von der Hohepriesterin von Avalon arrangiert worden? Teleri war vielleicht die einzige Frau in Britannien, die mich verstehen konnte. Ich hätte gern mit ihr gesprochen.
Dann, kurz vor dem Fest, mit dem die Ernte beginnt, liefen Männer schreiend durch die Straßen und meldeten, Karausius sei tot, und Allectus, sein Finanzminister, habe den Thron in Anspruch genommen, wobei er die fränkischen Hilfstruppen seines früheren Herrn reichlich belohnt habe, damit sie ihn unterstützten. Als verkündet wurde, er werde Teleri ehelichen, schüttelte ich den Kopf. Allectus mochte sich zwar Kaiser nennen, doch er beabsichtigte offenbar, ein Großkönig nach alter Art zu werden, indem er die Königin und mit ihr das Land heiratete.
Ich stand in der Zuschauermenge und beobachtete, wie sie zu ihrem Hochzeitsfest zogen. Allectus winkte mit fieberhafter
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