Die Prinzen von Amber (5 Romane in einem Band)
wollte ich leben. Von nun an war ich der Behüter der Stadt. Ich trug nicht die Krone, doch waren die Probleme des Herrschers die meinen geworden. Das war wirklich ironisch. Ich war zurückgekehrt, um den Thron zu beanspruchen, um Eric die Krone zu entreißen, ich wollte den Ruhm, ich wollte herrschen. Doch plötzlich wankte der Boden unter unseren Füßen. Wir hatten ziemlich schnell erkannt, daß sich Eric nicht richtig verhalten hatte. Wenn er Vater wirklich umgebracht hatte, besaß er keinen Anspruch auf die Krone. Wenn nicht, hatte er voreilig gehandelt. Wie dem auch sei – die Krönung hatte nur dazu gedient, sein bereits aufgeblasenes Selbstgefühl weiter zu stärken. Ich selbst, ich strebte nach der Krone und wußte, daß ich ihre Last tragen konnte. Doch es wäre nun ebenso unsinnig gewesen, den Thron zu besteigen, während meine Truppen noch in Amber lagerten, während der Verdacht, Caine ermordet zu haben, in Kürze auf mich fallen würde, während sich mir zugleich die ersten Anzeichen für eine fantastische Verschwörung offenbarten und im übrigen nach wie vor die Möglichkeit bestand, daß Vater noch lebte. Wir hatten seit seinem Verschwinden wohl mehrfach in Verbindung gestanden, und bei einer dieser Gelegenheiten, vor Jahren, hatte er sich mit meiner Thronbesteigung einverstanden erklärt. Doch in der Stadt gab es soviel Lug und Trug, daß ich nicht mehr wußte, was ich glauben sollte. Vater hatte nicht abgedankt. Außerdem hatte ich eine Kopfverletzung erlitten und war mir meiner eigenen Wünsche nur zu klar bewußt. Der Verstand ist ein seltsames Ding. Ich traute nicht mal mir selbst. War es denkbar, daß ich die ganze Sache selbst eingefädelt hatte? Seither war viel geschehen. Der Preis für das Leben als Amberianer ist vermutlich der perverse Umstand, daß man sich selbst nicht mehr trauen kann. Ich überlegte, was Freud wohl darüber gesagt hätte. Es war ihm zwar nicht gelungen, meine Amnesie zu durchbrechen, doch er hatte einige erstaunlich präzise Vermutungen über meinen Vater angestellt – wie er gewesen war, wie unsere Beziehung ausgesehen hatte. Das war mir damals gar nicht so bewußt geworden. Ich wünschte, ich könnte noch ein Gespräch mit dem genialen Gelehrten der Schattenwelt führen.
Ich wanderte durch den marmornen Eßsaal und trat in den darunterliegenden dunklen und engen Korridor. Ich nickte dem Wächter zu und marschierte bis zum Ende, durch die Tür, hinaus auf die Plattform, dann hinab. Die endlose Wendeltreppe, die ins Innere Kolvirs führt. Hinabsteigen. Ab und zu Lichter. Dahinter Schwärze.
Es wollte mir scheinen, als habe sich irgendwann in der nahen Vergangenheit ein Gleichgewicht verschoben, so daß ich nicht mehr selbst handelte, sondern zum Handeln gebracht wurde – daß irgend etwas mich in Trab hielt, mich zum Reagieren zwang. Mich bedrängte. Und jeder Zug führte zum nächsten. Wo hatte das alles begonnen? Vielleicht ging es schon seit Jahren so, und ich begann es gerade erst zu merken. Vielleicht waren wir alle irgendwie Opfer – in einem Ausmaß, und auf eine Weise, die sich keiner von uns klar gemacht hatte. Ein großartiger Stoff für morbide Gedanken! Mehr als alles auf der Welt hatte ich König sein wollen – und wollte es noch immer. Doch je mehr ich erfuhr und je mehr ich über das Erfahrene nachdachte, um so stärker wurde mein Eindruck, daß ich lediglich Figur auf einem riesigen Spielbrett gewesen war. Dabei machte ich mir plötzlich klar, daß ich dieses Gefühl schon seit geraumer Zeit hatte, daß es sich immer stärker bemerkbar machte und mir ganz und gar nicht gefiel. Doch, so tröstete ich mich, es gibt kein irgendwie geartetes Lebewesen, das nicht irgendwelche Fehler macht. Wenn mein Gefühl eine reale Basis hatte, rückte mein ureigenster Pawlow mit jedem Glockenschlag mehr in die Reichweite meiner Fänge. Bald, bald, ich spürte, es mußte bald sein, würde ich dafür sorgen müssen, daß er mir zu nahe kam. Und dann lag es an mir, dafür zu sorgen, daß er weder entwischte noch jemals zurückkehrte.
Herum, herum, immer im Kreis, hinab, hier ein Licht, dort ein Licht, dies meine Gedanken wie ein Faden auf einer Spule, aufrollend oder abrollend, das war nicht genau zu bestimmen. Unter mir der Klang von Metall auf Stein. Die Schwertscheide eines Wächters, der sich erhob. Schwankendes Licht von einer emporgehobenen Laterne.
»Lord Corwin ...«
»Jamie.«
Unten nahm ich eine Laterne vom Regal. Ich stellte ein Licht hinein, machte
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