Die Prinzen von Amber (5 Romane in einem Band)
zu
»Auprès de ma Blonde.«
Ich erinnerte mich, ich erinnerte mich ... an mein Leben an dem Ort der Schatten, den seine Bewohner die Erde genannt haben, die große Schattenwelt. Nach drei weiteren Schritten hielt ich eine blutige Klinge in der Hand und sah drei Tote und mein Pferd, auf dem ich dem aufgebrachten Mob der Französischen Revolution entkommen war. Und mehr, unendlich mehr, bis zurück ...
Ich machte einen weiteren Schritt.
Bis zurück ...
Die Toten. Sie waren überall. Ein schrecklicher Gestank lag in der Luft, der Geruch von Tod und Verwesung – und ich hörte das Geheul eines Hundes, der totgeschlagen wurde. Schwarze Rauchschwaden füllten den Himmel, und ein eiskalter Wind umtoste mich und trug kleine Regentropfen herbei. Meine Kehle war trocken, meine Hände zitterten, mein Kopf schien zu glühen. Allein taumelte ich dahin, sah meine Umwelt durch den Schleier des Fiebers, das mich verzehrte. In den Gossen lagen Unrat und tote Katzen und der Kot aus Nachttöpfen. Mit klingender Glocke ratterte der Todeswagen vorbei, bespritzte mich mit Schlamm und kaltem Wasser.
Wie lange ich herumwanderte, weiß ich nicht mehr; jedenfalls ergriff eine Frau meinen Arm, und ich sah einen Totenkopfring an ihrem Finger. Sie führte mich in ihre Wohnung, stellte dort aber fest, daß ich kein Geld hatte und kein zusammenhängendes Wort mehr herausbekam. Angst verzerrte ihr bemaltes Gesicht, löschte das Lächeln auf ihren schimmernden Lippen, und sie floh von mir und ließ sich auf ihr Bett fallen. Ich warf mich auf sie und klammerte mich schutzsuchend an ihrem Fleisch fest.
Später – wieder weiß ich nicht, wieviel Zeit vergangen war – kam ein großer Mann, der Beschützer des Mädchens, versetzte mir einen Schlag ins Gesicht und zerrte mich hoch. Ich packte seinen rechten Bizeps und krallte mich in seinen Arm. Er trug und zerrte mich zur Tür.
Als mir klar wurde, daß er mich in die Kälte hinauswerfen wollte, griff ich noch fester zu, um dagegen zu protestieren. Ich drückte mit aller Kraft, die mir noch verblieben war, und stammelte, flehte ihn an.
Durch Schweiß und tränengeblendete Augen sah ich plötzlich, wie sein Gesicht erschlaffte, und hörte, wie ein Schrei zwischen seinen fleckigen Zähnen hervorbrach.
Ich hatte ihm mit meinem Griff den Oberarm gebrochen.
Er stieß mich mit der linken Hand fort und sank weinend auf die Knie. Ich hockte am Boden, und war einen Augenblick lang klar im Kopf.
»Ich ... bleibe ... hier«, sagte ich, »bis ich mich besser fühle. Raus mit dir! Wenn du zurückkommst, töte ich dich!«
»Du hast ja die Pest!« brüllte er. »Morgen holen sie deine Knochen!« Und er spuckte aus, rappelte sich hoch und taumelte ins Freie. Die Frau floh mit ihm.
Ich schleppte mich zur Tür und verriegelte sie. Dann kroch ich ins Bett zurück und schlief ein.
Wenn die Totengräber am nächsten Morgen tatsächlich meine Leiche abholen wollten, wurden sie enttäuscht. Denn etwa zehn Stunden später erwachte ich mitten in der Nacht, in kalten Schweiß gebadet. Mein Fieber war überwunden. Ich war schwach, aber bei Sinnen.
Ich erkannte, daß ich die Pest überlebt hatte.
Ich nahm einen Männermantel, den ich im Schrank fand, und auch etwas Geld aus einer Schublade.
Dann trat ich in die Londoner Nacht hinaus, im Jahre der Pest, auf der Suche nach etwas ...
Ich hatte keine Ahnung, wer ich war oder was ich dort machte.
So hatte es begonnen.
Ich war nun ein gutes Stück in das Muster vorgedrungen, und die Funken sprühten mir ständig um die Füße, reichten mir fast bis zu den Knien. Ich wußte nicht mehr, in welche Richtung ich ging oder wo Random und Deirdre und Moire standen. Ströme durchzuckten mich, und ich hatte das Empfinden, daß meine Augäpfel vibrierten. Plötzlich spürte ich ein Prickeln wie von Nadeln in den Wangen und einen kühlen Hauch im Nacken. Ich biß die Zähne zusammen, damit sie nicht zu klappern begannen.
Nicht der Autounfall hatte die Amnesie ausgelöst. Ich hatte seit der Herrschaft Elizabeths I. kein volles Erinnerungsvermögen mehr gehabt! Flora mußte angenommen haben, der kürzliche Unfall habe mich völlig wiederhergestellt. Sie hatte meinen Zustand gekannt. Plötzlich kam mir der Gedanke, daß sie sich vermutlich nur deswegen auf
der Schatten-Erde aufhielt, um mich im Auge zu behalten.
Also seit dem sechzehnten Jahrhundert?
Das vermochte ich nicht zu sagen. Doch ich würde es herausfinden.
Ich machte sechs weitere schnelle Schritte, erreichte das
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