Die Prinzen von Amber
mitgenommen. Ich war also gewillt zu glauben, daß tatsächlich mehr dahinter steckte. Eric hatte wahrscheinlich ähnliche Vermutungen gehegt, doch auch er war nicht in der Lage gewesen, die anderen Anwendungsarten herauszufinden. Er hatte lediglich die offensichtlichen Fähigkeiten des Juwels ausgenutzt, als Bleys und ich Amber angriffen; und er hatte es letzte Woche auf gleiche Weise eingesetzt, als die Wesen der schwarzen Straße ihren Angriff wagten. Beidemale hatte ihm das Juwel gut gedient, wenn es ihm auch nicht das Leben hatte retten können. Nun war es ratsam, sich die volle Gewalt über das Juwel zu verschaffen, sagte ich mir. Jeder kleine zusätzliche Vorteil war wichtig. Und es war gut, wenn man sich das Ding tragen sah. Besonders jetzt.
Ich legte die Notizen in den Safe zurück und steckte das Juwel in die Tasche. Dann begab ich mich in die untere Etage des Palastes. Wieder verlieh mir die Umgebung der riesigen Säle das Gefühl, als wäre ich niemals fort gewesen. Dies war mein Zuhause, hier wollte ich leben. Von nun an war ich der Behüter der Stadt. Ich trug nicht die Krone, doch waren die Probleme des Herrschers die meinen geworden. Das war wirklich ironisch. Ich war zurückgekehrt, um den Thron zu beanspruchen, um Eric die Krone zu entreißen, ich wollte den Ruhm, ich wollte herrschen. Doch plötzlich wankte der Boden unter unseren Füßen. Wir hatten ziemlich schnell erkannt, daß sich Eric nicht richtig verhalten hatte. Wenn er Vater wirklich umgebracht hatte, besaß er keinen Anspruch auf die Krone. Wenn nicht, hatte er voreilig gehandelt. Wie dem auch sei – die Krönung hatte nur dazu gedient, sein bereits aufgeblasenes Selbstgefühl weiter zu stärken. Ich selbst, ich strebte nach der Krone und wußte, daß ich ihre Last tragen konnte. Doch es wäre nun ebenso unsinnig gewesen, den Thron zu besteigen, während meine Truppen noch in Amber lagerten, während der Verdacht, Caine ermordet zu haben, in Kürze auf mich fallen würde, während sich mir zugleich die ersten Anzeichen für eine fantastische Verschwörung offenbarten und im übrigen nach wie vor die Möglichkeit bestand, daß Vater noch lebte. Wir hatten seit seinem Verschwinden wohl mehrfach in Verbindung gestanden, und bei einer dieser Gelegenheiten, vor Jahren, hatte er sich mit meiner Thronbesteigung einverstanden erklärt. Doch in der Stadt gab es soviel Lug und Trug, daß ich nicht mehr wußte, was ich glauben sollte. Vater hatte nicht abgedankt. Außerdem hatte ich eine Kopfverletzung erlitten und war mir meiner eigenen Wünsche nur zu klar bewußt. Der Verstand ist ein seltsames Ding. Ich traute nicht mal mir selbst. War es denkbar, daß ich die ganze Sache selbst eingefädelt hatte? Seither war viel geschehen. Der Preis für das Leben als Amberianer ist vermutlich der perverse Umstand, daß man sich selbst nicht mehr trauen kann. Ich überlegte, was Freud wohl darüber gesagt hätte. Es war ihm zwar nicht gelungen, meine Amnesie zu durchbrechen, doch er hatte einige erstaunlich präzise Vermutungen über meinen Vater angestellt – wie er gewesen war, wie unsere Beziehung ausgesehen hatte. Das war mir damals gar nicht so bewußt geworden. Ich wünschte, ich könnte noch ein Gespräch mit dem genialen Gelehrten der Schattenwelt führen.
Ich wanderte durch den marmornen Eßsaal und trat in den darunterliegenden dunklen und engen Korridor. Ich nickte dem Wächter zu und marschierte bis zum Ende, durch die Tür, hinaus auf die Plattform, dann hinab. Die endlose Wendeltreppe, die ins Innere Kolvirs führt. Hinabsteigen. Ab und zu Lichter. Dahinter Schwärze.
Es wollte mir scheinen, als habe sich irgendwann in der nahen Vergangenheit ein Gleichgewicht verschoben, so daß ich nicht mehr selbst handelte, sondern zum Handeln gebracht wurde – daß irgend etwas mich in Trab hielt, mich zum Reagieren zwang. Mich bedrängte. Und jeder Zug führte zum nächsten. Wo hatte das alles begonnen? Vielleicht ging es schon seit Jahren so, und ich begann es gerade erst zu merken. Vielleicht waren wir alle irgendwie Opfer – in einem Ausmaß, und auf eine Weise, die sich keiner von uns klar gemacht hatte. Ein großartiger Stoff für morbide Gedanken! Mehr als alles auf der Welt hatte ich König sein wollen – und wollte es noch immer. Doch je mehr ich erfuhr und je mehr ich über das Erfahrene nachdachte, um so stärker wurde mein Eindruck, daß ich lediglich Figur auf einem riesigen Spielbrett gewesen war. Dabei machte ich mir plötzlich klar,
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