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Die Prinzen von Amber

Titel: Die Prinzen von Amber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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Schleier hatte sich vor mir geöffnet – ebenso plötzlich, wie er aufgetreten war. Ich hatte ihn überwunden und damit etwas gewonnen.
    Ich hatte ein Stück meiner selbst hinzugewonnen.
    Ich sah die papierdünne Haut und die dürren Knochen der Toten in Auschwitz. Ich war in Nürnberg dabei gewesen, das wußte ich. Ich hörte die Stimme Stephen Spenders, der »Wien« aufsagte, und ich sah Mutter Courage über die Bühne schreiten. Ich sah die Raketen von den fleckigen Betonrampen aufsteigen, Peenemünde, Vandenberg, Kennedy, Kyzyl Kum in Kasachstan, und ich berührte mit eigener Hand die große Chinesische Mauer. Wir tranken Bier und Wein, und Shaxpur sagte, er sei voll, und zog ab, um sich zu übergeben. Ich drang in den grünen Wald der westlichen Reservation ein und erbeutete an einem Tage drei Skalps. Im Marschieren begann ich ein Lied zu singen, in das die anderen bald einfielen. Es wurde zu
»Auprès de ma Blonde.«
Ich erinnerte mich, ich erinnerte mich ... an mein Leben an dem Ort der Schatten, den seine Bewohner die Erde genannt haben, die große Schattenwelt. Nach drei weiteren Schritten hielt ich eine blutige Klinge in der Hand und sah drei Tote und mein Pferd, auf dem ich dem aufgebrachten Mob der Französischen Revolution entkommen war. Und mehr, unendlich mehr, bis zurück ...
    Ich machte einen weiteren Schritt.
    Bis zurück ...
    Die Toten. Sie waren überall. Ein schrecklicher Gestank lag in der Luft, der Geruch von Tod und Verwesung – und ich hörte das Geheul eines Hundes, der totgeschlagen wurde. Schwarze Rauchschwaden füllten den Himmel, und ein eiskalter Wind umtoste mich und trug kleine Regentropfen herbei. Meine Kehle war trocken, meine Hände zitterten, mein Kopf schien zu glühen. Allein taumelte ich dahin, sah meine Umwelt durch den Schleier des Fiebers, das mich verzehrte. In den Gossen lagen Unrat und tote Katzen und der Kot aus Nachttöpfen. Mit klingender Glocke ratterte der Todeswagen vorbei, bespritzte mich mit Schlamm und kaltem Wasser.
    Wie lange ich herumwanderte, weiß ich nicht mehr; jedenfalls ergriff eine Frau meinen Arm, und ich sah einen Totenkopfring an ihrem Finger. Sie führte mich in ihre Wohnung, stellte dort aber fest, daß ich kein Geld hatte und kein zusammenhängendes Wort mehr herausbekam. Angst verzerrte ihr bemaltes Gesicht, löschte das Lächeln auf ihren schimmernden Lippen, und sie floh von mir und ließ sich auf ihr Bett fallen. Ich warf mich auf sie und klammerte mich schutzsuchend an ihrem Fleisch fest.
    Später – wieder weiß ich nicht, wieviel Zeit vergangen war – kam ein großer Mann, der Beschützer des Mädchens, versetzte mir einen Schlag ins Gesicht und zerrte mich hoch. Ich packte seinen rechten Bizeps und krallte mich in seinen Arm. Er trug und zerrte mich zur Tür.
    Als mir klar wurde, daß er mich in die Kälte hinauswerfen wollte, griff ich noch fester zu, um dagegen zu protestieren. Ich drückte mit aller Kraft, die mir noch verblieben war, und stammelte, flehte ihn an.
    Durch Schweiß und tränengeblendete Augen sah ich plötzlich, wie sein Gesicht erschlaffte, und hörte, wie ein Schrei zwischen seinen fleckigen Zähnen hervorbrach.
    Ich hatte ihm mit meinem Griff den Oberarm gebrochen.
    Er stieß mich mit der linken Hand fort und sank weinend auf die Knie. Ich hockte am Boden, und war einen Augenblick lang klar im Kopf.
    »Ich ... bleibe ... hier«, sagte ich, »bis ich mich besser fühle. Raus mit dir! Wenn du zurückkommst, töte ich dich!«
    »Du hast ja die Pest!« brüllte er. »Morgen holen sie deine Knochen!« Und er spuckte aus, rappelte sich hoch und taumelte ins Freie. Die Frau floh mit ihm.
    Ich schleppte mich zur Tür und verriegelte sie. Dann kroch ich ins Bett zurück und schlief ein.
    Wenn die Totengräber am nächsten Morgen tatsächlich meine Leiche abholen wollten, wurden sie enttäuscht. Denn etwa zehn Stunden später erwachte ich mitten in der Nacht, in kalten Schweiß gebadet. Mein Fieber war überwunden. Ich war schwach, aber bei Sinnen.
    Ich erkannte, daß ich die Pest überlebt hatte.
    Ich nahm einen Männermantel, den ich im Schrank fand, und auch etwas Geld aus einer Schublade.
    Dann trat ich in die Londoner Nacht hinaus, im Jahre der Pest, auf der Suche nach etwas ...
    Ich hatte keine Ahnung, wer ich war oder was ich dort machte.
    So hatte es begonnen.
    Ich war nun ein gutes Stück in das Muster vorgedrungen, und die Funken sprühten mir ständig um die Füße, reichten mir fast bis zu den Knien. Ich wußte

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