Die Prophetin
ist gestern zurückgekommen«, sagte Erika mit erstickter Stimme. »Ich bin ihm zufällig vor seinem Bungalow begegnet. Er ist ausgezogen. Teddy hat gekündigt, Miles.« Das überraschte ihn nicht. Teddy war ausgebrannt, typisch für einen Hacker. Miles hatte es kommen sehen. »Ich kann ohne ihn leben«, sagte er tonlos und richtete den Blick wieder auf den Computer. Dann sah er Erika fragend an. Sie ging zur anderen Seite des Raums und starrte aus dem Fenster. »Ich konnte nicht aufhören, daran zu denken, was ich zufällig aus deinem Mund gehört hatte. Dann fing ich an, andere Dinge miteinander in Verbindung zu bringen –
Telefonanrufe mitten in der Nacht, die vielen Stunden, die du unten im Computer-Zentrum verbracht hast.
Du warst so besessen wie früher. Und dann deine Pressekonferenz, bei der du von geheimen Verhandlungen mit Dr. Alexander über den Kauf der Schriftrollen geredet hast. Irgend etwas stimmte nicht. Also habe ich Teddy gefragt. Er hat es mir gesagt. Und er hat mir als Beweis den Computer gegeben.«
»Erika, ich kann alles erklären.« Sie zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. »Wie erklärst du mir, daß er Daniel Stevenson gehört hat?« Als er nichts erwiderte, fuhr sie fort: »Warum hast du Kojote sterben lassen? Er wäre noch am Leben, wenn du ihm die Kachina zurückgegeben hättest.«
»Erika…«
Sie hob die Hand und schnitt ihm das Wort ab. »Ich gehe, Miles…«
»Bitte«, flüsterte er, »tu das nicht.« Er wollte auf sie zugehen, aber Erika griff nach einem Buch mit dem Titel: Die Schriftrollen der Sabina und drückte es an ihre Brust.
Miles blieb wie angewurzelt stehen und sagte leise: »Wenn du gehst, vernichtest du mich. Erika, ich brauche dich.« Erika ließ sich nicht beeindrucken. »Ich habe in den vergangenen Wochen viel über dich herausgefunden, Miles. Ich weiß von den Orchideen und von all den kriminellen Geschäften mit den Schmugg-lern. Du hast skrupellos Menschen ›ausschalten‹ lassen, die dir und deinen Plänen im Weg standen.« Sie zitterte, aber dann sah sie ihn an. »Das Schlimmste von allem war dein Plan, die Schriftrollen in deinen Besitz zu bringen und der Welt die große Botschaft vorzuenthalten, die die Menschen brauchen, die ich so verzweifelt brauche.«
»Ich wollte die Papyri für dich, Erika, nicht für mich.«
»Wage nicht, mir das zu sagen. Ich hatte mich auf die Jahrtausendwende gefreut. Ich hatte auf eine persönliche Offenbarung gehofft. Statt dessen habe ich Betrug und Verrat entdeckt.« Ihre Stimme klang nicht erregt oder laut. Sie trat schweigend ans Bett. »Du wirst von meinem Anwalt hören.« Sie griff nach dem Laptop und ging zur Tür. »Erika!« rief er erstickt. »Was soll ich denn jetzt tun?« Sie sah ihn unglücklich an. »Vielleicht versuchst du es mit Beten.«
Los Angeles, Kalifornien
Das Begräbnis würde bald zu Ende sein. Catherine sah unter einer Eiche am Rand des Friedhofs eine schlanke Gestalt. Es war Teddy Yamaguchi. Sie war ihm vor ein paar Tagen zum ersten Mal begegnet, als er mit einer höchst erstaunlichen Entschuldigung zu ihr gekommen war. Er gestand ihr, er habe keine Ahnung gehabt, daß ihr Leben bedroht gewesen sei oder daß Havers jemand angeheuert hatte, um sie ermor-den zu lassen.
»Es schien alles nur ein Spiel«, hatte er gesagt und dann hinzugefügt: »Ich werde allmählich zu alt dafür.
Auch ich muß einmal erwachsen werden.«
Catherine wußte jetzt auch, daß Teddy Yamaguchi ihr die geheimnisvolle E-Mail-Botschaft »Er hat Sie gefunden!« geschickt hatte.
»Das war der Tag, an dem ich herausgefunden habe, was Miles Havers wirklich vorhatte«, erzählte er.
»Havers hat den Ehrenkodex der Hacker gebrochen, daß niemandem durch das, was wir tun, ein körperlicher Schaden zugefügt wird. Informationen nachzuspüren, ist eine Sache, im Netz hinter einem Menschen herzujagen mit der Absicht, ihn zu töten… nein, da konnte ich nicht mehr mitmachen.«
»Sind Sie Jean-Luc?« hatte sie gefragt. Er hatte es verneint. Catherine hatte sich mehrmals im IRC umge-sehen, aber es war ihr nicht mehr gelungen, #hawksbill oder Jean-Luc zu finden. Als Teddy jetzt ihren Blick auffing, lächelte er und nickte, drehte sich um und ging davon.
Catherine sah ihm nach, wie er zwischen den Bäumen verschwand und dachte daran, welche seltsamen Wendungen des Leben nimmt. Nicht nur ihr eigenes, sondern das Leben eines jeden. Die Welt war inzwischen wieder zu einer gewissen Normalität zurückgekehrt, doch es gab
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