Die Prophetin
verliebt hatte. Die Brise vom Golf war so heftig, daß er den Kopf senken mußte. Seine nächsten Worte klangen fast wie ein Geständnis, aber sie hatte Mühe, ihn zu verstehen, als er sagte: »In diesem Augenblick habe ich dich beneidet, Catherine. Ich hatte mich immer an die Regeln gehalten, war auf Nummer Sicher gegangen und nie bereit gewesen, ein Risiko einzugehen. Obwohl ich mit deinem Vorgehen nicht einverstanden war, habe ich dich bewundert. Ich sah ein, daß es Zeit für mich war, ebenfalls etwas zu tun.«
Er hob den Kopf, sah sie an und lächelte.
»Ich erkannte auch, daß ich dich in diesem Augenblick mehr liebte als je zuvor. Du hattest recht gehabt, als du sagtest, man müsse manchmal die Regeln brechen, um das Richtige zu tun.«
Er legte ihr den Arm um die Schultern und drückte sie an sich. »Verstehst du, deshalb bin ich nach Ägypten gefahren, habe Samir ausfindig gemacht, ein paar vertrauenswürdige Arbeiter angeheuert und bin ohne jede Genehmigung in den Brunnen hinuntergestiegen.«
Catherine hing wie gebannt an seinen Lippen. Sie spürte, wie ihr das Herz aufging, denn sie sah, daß Julius wie von neuem Leben erfüllt und mit einer noch nie empfundenen Wärme zu ihr sprach. Etwas von der Liebe zu ihm erwachte wieder, und der Zorn verflog wie alle Bitterkeit. »Ich habe alles wieder herausge-holt, was die Behörden hineingeschüttet hatten, und dann angefangen, den Rest des Skeletts auszugraben.«
»Du hast die Regeln gebrochen«, flüsterte sie und lachte leise. Er lächelte. »Jede Regel, die ich mir vorstellen konnte.« Sie fühlte ein Kribbeln, als trage der Wind den Wüstensand mit sich. Aber es war nicht der Sand. Es war die Erwartung. »Und was hast du gefunden?«
Julius hob die Plane hoch, schaltete eine starke Lampe ein und ließ den Halogenscheinwerfer an einem Seil durch die Öffnung in den Brunnen hinab. Catherine beobachtete, wie im Lichtschein Lage um Lage Steine hell wurde. Am Boden des Brunnens verbreitete sich der Lichtstrahl wie ein Fächer und beleuchtete die freigelegten Gebeine.
»Aber… das ist ja nicht nur ein Skelett! Das sind zwei…«
»Das erste«, erklärte Julius, »das du entdeckt hattest, ist das Skelett einer Frau. Sie ist offenbar mit gefes-selten Händen und Füßen in den Brunnen hinabgelassen worden. Wahrscheinlich war sie noch am Leben.
Beim zweiten handelt es sich um das Skelett eines Mannes. Hände und Füße sind nicht gefesselt. Ich glaube, man hat ihn nicht in den Brunnen geworfen, obwohl er teilweise über dem anderen Skelett liegt.«
Catherine blickte hinunter. Alles um sie herum versank in einem fernen Nebel, und vor ihrem inneren Auge sah sie den Männerarm, der beinahe zärtlich auf der toten Frau lag, und sie hörte aus weiter Ferne den Ruf einer verzweifelten Stimme. »Ein Liebespaar«, murmelte sie wie in Trance. »Sie haben noch im Tod Sabinas Geschichte geschützt…«
Das Flüstern ihrer Stimme hallte im Brunnen und brachte sie wieder in die Gegenwart zurück. »Wer sie wohl waren?«
»Ich glaube nicht, daß es eine Möglichkeit gibt, das herauszufinden.«
Catherine blickte wie gebannt in die Tiefe und dachte: War diese Frau, die für das Geheimnis der Schriftrollen gestorben ist, womöglich die letzte christliche Priesterin?
»Da ist noch etwas«, hörte sie Julius sagen. Er nahm Catherine bei der Hand und führte sie zu einem Tisch, der unter einem Sonnendach stand. »Diese Stücke habe ich in dem Brunnen gefunden«, sagte er.
Catherine betrachtete die Funde nachdenklich. »Sie könnten israelitisch sein«, murmelte sie. »Aus der Bronzezeit.«
»Ich dachte das auch, und die bisherigen Untersuchungen bestätigen unsere Vermutung. Natürlich sind diese Funde noch kein Beweis«, sagte er und strahlte sie glücklich an, »aber doch wenigstens ein Anfang, der zu dem Beweis führen kann, daß Moses und Miriam mit den Israeliten diesen Weg genommen haben, und daß du recht hattest.«
In ihren Augen glänzten Tränen. »Danke, Julius, daß du das für mich getan hast.«
Er warf einen Blick über die Schulter, wo der ägyptische Beamte stand und sie nicht aus den Augen ließ.
»Ich habe das zuständige Amt in Kairo über meine Grabungserfolge informiert. Da die ägyptische Entscheidung, den Brunnen zuzuschütten, eindeutig ein Fehler war, hat man mir auf allerhöchste Weisung mein eigenmächtiges Vorgehen ›verziehen‹.«
Catherine fragte: »Und was ist mit mir?«
Julius schüttelte den Kopf, als er die Hoffnung in ihren Augen
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