Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
undschloss mich der Menge an, die in das Gebäude drängte. Die Herzogin, Mutter Lowe und die Hofdamen waren in Begleitung des Grafen von Southampton nach oben in die königlichen Gemächer geleitet worden. Vermutlich waren auch der Herzog und die Herzogin von Suffolk bei ihnen.
Wir anderen wurden in einen Rittersaal mit langen gedeckten Tafeln geführt. Das Stimmengewirr im Saal war ohrenbetäubend. Ich suchte mir einen Platz und aß etwas, während ich überlegte, wie ich der Herzogin von Suffolk – und anderen, die zweifellos das Gleiche fragen würden – erklären sollte, wieso ich dem Gefolge Annas von Kleve angehörte.
»Verzeiht, Miss Stafford?«
Ich blickte in das lächelnde Gesicht Thomas Seymours.
»Man hat mich gebeten, Euch zu holen«, sagte er. »Angefleht, genauer gesagt. Es ist eine junge Dame, die behauptet, Euch zu kennen. Sie möchte Euch unbedingt sprechen.«
»Eine junge Dame?«, wiederholte ich verwundert. »Niemand aus dem Gefolge der Herzogin?«
»Das kann ich nicht sagen. Darf ich Euch zu ihr bringen – und später, wenn das Fest beginnt, werdet Ihr mir vielleicht einen Tanz schenken?«
»Bitte bringt mich einfach zu der Dame, die mich zu sprechen wünscht«, sagte ich kühl.
Seymours Augen blitzten; er war offensichtlich ein Mann, der die Herausforderung liebte.
Ich folgte ihm durch einen Gang, in dem es immer stiller wurde, und ich war, argwöhnisch geworden, nahe daran, ihn zur Rede zu stellen, als er vor einem Alkoven Halt machte, in dem eine junge Frau mit einer Kerze in der Hand wartete.
Ich erkannte sie sofort. Es war Nelly, die in der St. Paul’s Row mein Dienstmädchen gewesen war. Obwohl sie einen langen Umhang trug, sah ich, dass sie guter Hoffnung war. Ihr Blick war ein einziges Flehen.
»Kennt Ihr die junge Dame?«, fragte Seymour.
»Ja«, antwortete ich. »Danke Euch, Sir Thomas.«
»Ich hoffe, wir sehen uns später«, bemerkte er vielsagend, dann ließ er uns allein.
»Nelly, was tust du hier?«, fragte ich, und im selben Moment wurde mir eiskalt. »Ist Señor Hantaras auch hier?«
»Nein, meine Mutter und ich sind jetzt in einem Haus in Dover in Diensten«, sagte sie. »Ich bin hergekommen, weil ich die neue Königin sehen wollte – aber dann habe ich Euch gesehen, Miss Stafford. Und ich wollte mit Euch sprechen. Wegen – Jacquard. Er sollte inzwischen wieder in England sein.«
Wenn ich sie in London besser beschützt hätte, wäre das alles nicht passiert.
»Ist Jacquard der Vater des Kindes?«, fragte ich.
»Ja«, flüsterte sie. »Er ist jetzt schon so lange weg, und nie hat er mir Nachricht zukommen lassen. Oh, ich möchte nicht, dass uns jemand hört, bitte – vielleicht können wir in eins der Zimmer dort drüben gehen.« Sie zog mich mit sich durch den Gang und stieß die Tür zu einer kleinen unordentlichen Kammer auf.
»Nelly«, sagte ich, »es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber du musst es erfahren. Es kann sein, dass Jacquard nie mehr nach England zurückkommt.«
Nelly schwieg. Im Schein der Kerze nahm ihr Gesicht einen seltsamen Ausdruck an.
»Ja«, sagte sie endlich. »Ich weiß.«
Ihr Blick flog über meine linke Schulter. Ein Schatten sprang über den Boden. Das Letzte, was ich sah, war Hantaras, der irgendetwas in der Hand hielt. Er schwang es in die Höhe und dann nach mir.
Schmerz durchzuckte mich. Dann versank ich im Dunkeln.
Kapitel 50
Langsam wurde ich aus dem Nichts emporgetragen. Ich konnte nichts sehen, und ich konnte mich nicht bewegen. Nach einer Weile merkte ich, dass man mir die Augen verbunden und die Hände gefesselt hatte. Doch es machte mir nichts aus, denn angenehme Empfindungen bewegten mich. Ich fühlte mich ruhig und heiter in diesem Meer der Dunkelheit, in dem ich dahintrieb.
Plötzlich wurde mir das Tuch von den Augen gerissen. Blinzelnd blickte ich zu einer dunkelhaarigen Frau hinauf, die ich noch nie gesehen hatte.
»Trinkt das«, befahl sie kurz und flößte mir etwas dünnes Bier ein.
»Danke«, sagte ich, nachdem ich getrunken hatte, und sah mich um. Ich lag unter einem Berg von Decken, die mich wohl warmhalten sollten, gefesselt, hinten in einem großen geschlossenen Wagen, der jedoch nicht in Bewegung war. Holzwände und ein Dach, durch dessen Ritzen Tageslicht sickerte, verbargen mich vor der Außenwelt. Ich kam mir vor wie in eine große Reisekiste eingesperrt.
»Seid Ihr Nellys Mutter?«, fragte ich die Frau.
»Natürlich ist sie das«, versetzte ein Mann, der in der Ecke gegenüber
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