Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
von Southampton. »Es gibt kaum eine Familie, die so hohes Ansehen genießt wie die Familie Stafford.«
Er wandte sich mir zu. »Mutter Lowe meint, die Herzogin von Kleve würde gewiss gern eine englische Dame kennenlernen, die so vortrefflich handarbeitet. Wir hoffen, morgen in See stechen zu können. Euer Gepäck wird auf die Galeone gebracht, auf der die Herzogin reist, damit Ihr ihr vorgestellt werden könnt.«
Ich knickste mit klopfendem Herzen.
Doch wir stachen nicht am folgenden Tag in See, und auch nicht am Tag darauf. Die Küste entlang waren Wetterbeobachter postiert, um unverzüglich Zeichen zu geben, wenn die Wetterlage sich so weit besserte, dass die dreißig Meilen lange Überfahrt nach Dover gefahrlos unternommen werden konnte. Am dritten Tag, am Samstag, dem 27. Dezember, feuerten sie die Kanonen. Das war das Signal.
Ich eilte zum Hafen und wurde zum größten der Schiffe übergesetzt. An Bord sprach niemand mit mir. Die Herzogin und ihre deutschen Damen waren unter Deck. Es war zu kalt, um dem Hissen der Segel beizuwohnen. Ich glaubte mich vergessen und war durchaus zufrieden damit, als der Graf von Southampton kam und mich abholte.
Eine so große Schar von deutschen und englischen Hofleuten umgab Anna von Kleve, dass ich sie gar nicht sehen konnte. Unversehenstrat ein junger Mann aus dem Gedränge auf mich zu und musterte mich von Kopf bis Fuß.
»Ich wusste gar nicht, dass jemand von der Familie Stafford an Bord ist«, sagte er. »Noch dazu ein Familienmitglied von so gefälligem Aussehen.« Er verneigte sich. »Ich bin Thomas Seymour.« Das also war der Bruder der toten Königin, der sittenlose Rüpel und Verschwender, den Mary Howard Fitzroy auf keinen Fall heiraten wollte.
Southampton sagte ungeduldig: »Die Herzogin wartet.«
Mutter Lowe und der Gelehrte standen neben einer jungen, prächtig gekleideten Frau, die in einem gepolsterten Sessel über eine Nadelarbeit gebeugt saß. Sie trug einen sehr großen Hut, dessen breite Krempe zu drei Ecken aufgeschlagen war. Als Mutter Lowe sie ansprach, hob sie den Kopf. Dann nickte sie, sah zuerst zu Southampton hinüber und dann zu mir. Sie schien etwa Ende zwanzig zu sein. Ihre Haut war nicht so hell wie die der meisten Engländerinnen, sondern hatte einen ähnlich bräunlichen Ton wie meine. Sie hatte eine lange Nase, ein kleines, spitz zulaufendes Kinn und große hellbraune Augen mit langen Wimpern. Ihr Blick war ruhig und würdevoll, wie es sich für eine zukünftige Königin gebührte.
Anna von Kleve unterhielt sich einen Moment in dieser fremden, hart klingenden Sprache mit Mutter Lowe. Offenbar sprach auch sie kein Englisch – oder Französisch. Ich fragte mich, wie sie sich mit ihrem zukünftigen Ehemann verständigen wollte.
»Die Herzogin würde gern Eure Handarbeit sehen«, teilte mir Southampton mit. »Das Handarbeiten ist ihre liebste Beschäftigung.«
Ich wartete, während die zukünftige Königin meine Stickerei begutachtete. Bedächtig drehte sie die Arbeit von der einen auf die andere Seite, und langsam breitete sich ein entzücktes Lächeln auf ihren Zügen aus. Mich befiel etwas wie Mitleid bei dem Gedanken, dass sie einem Mann wie Heinrich VIII. ausgeliefert werden sollte. Ihr Bruder, der Herzog von Kleve, musste nicht nur ehrgeizig, sondern herzlos sein, wenn er das guthieß.
Es wurde hin und her übersetzt, und ich wurde aufgefordert, der Herzogin etwas über mich zu erzählen.
»Sie möchte wissen, ob Ihr verheiratet seid«, sagte Southampton.
Ich schüttelte den Kopf.
Dann fragte sie, ob ich bei meinen Eltern lebte.
»Bitte sagt der Herzogin, dass meine Eltern tot sind und ich allein in meinem eigenen Haus lebe.«
Anna von Kleve schien verwirrt über diese Auskunft und ließ mich fragen, wie es sein könne, dass eine Frau von hoher Geburt – eine Frau überhaupt – allein lebte.
Ich seufzte. Es hatte keinen Sinn, etwas verbergen zu wollen.
»Bitte teilt der Herzogin mit, dass ich Novizin in einem katholischen Kloster war, das nicht mehr existiert.«
Southampton verzog das Gesicht.
»So ist es nun einmal«, sagte ich.
Nach dem nun schon gewohnten sprachlichen Hin und Her wurden meine Worte endlich der Herzogin übermittelt, die sie zu meiner höchsten Verwunderung wiederum mit diesem entzückten Lächeln aufnahm.
Southampton bemerkte zu mir: »Die Mutter der Herzogin schätzt die guten Werke der Nonnen und zählt eine Äbtissin zu ihren engsten Vertrauten.«
Ich starrte ihn verblüfft an. Er neigte sich
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