Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
unterwegs – die Dezemberwinde waren unwirtlich. Doch ich hatte Schlimmeres überlebt.
Während ich aufs Meer hinausblickte, überfiel mich plötzlich die Erkenntnis, dass ich nun bald den Kontinent hinter mir lassen würde, auf dessen Straßen Edmund unterwegs war.
»Habt Ihr schon einmal vom Schwarzwald gehört?«, fragte ich Nostradamus.
Er nickte. »Das ist ein großes Waldgebiet in Deutschland, das diesen Namen trägt, weil es so dunkel und undurchdringlich ist.«
Bestürzt fragte ich: »Warum sollte jemand dorthin reisen wollen?«
»Nun, es ist auch ein Gebiet der Legenden und Mythen, mystischer Kräfte und uralten Wissens«, antwortete er. »Für die Unerschrockenen kann der Schwarzwald ein Zauberreich sein.«
Eine Zeitlang gingen wir schweigend nebeneinander her. Dann wandte ich mich ihm erneut zu. »Warum wurde ich auserwählt?«, fragte ich.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Gründe zu erkennen, ist das Schwierigste für mich.«
Ich versuchte es anders. »Aber wisst Ihr, warum es so verlaufen musste? Warum musste ich zuerst von zwei anderen Sehern und schließlich von Euch Schritt für Schritt in die Prophezeiung eingeweiht werden? Und warum konnte es immer nur aus freiem Willen und ohne Zwang geschehen?«
Nostradamus hielt das Gesicht in den Wind und kniff die Augen zusammen. »Es ist eine Art innere Alchemie der menschlichen Natur, ein Prozess der Beeinflussung und Verwandlung Eurer Eigenschaften, der ins Spiel kommen wird, wenn es darauf ankommt. Jede Begegnung mit einem Seher hat Euch verändert – dem Menschen näher gebracht, der Ihr im entscheidenden Augenblick sein müsst.«
»Was sind das für Eigenschaften?«, fragte ich erschrocken. »Ich fürchte, es sind mein Jähzorn und meine Unbesonnenheit, Nostradamus, und nicht der fromme Glaube, den ich durch den Dienst an Gott zu finden hoffte.«
»Auch ich habe mit dem Glauben zu kämpfen, doch eins kann ich Euch sagen, Joanna, ich glaube an Euch«, erklärte er.
Als wir einander später Lebewohl wünschten, sagte er lächelnd: »Wir werden uns wiedersehen, doch bis dahin wird viel Zeit vergehen.« Und dann trat er die Reise in sein Heimatdorf im Süden Frankreichs an.
Am Tag seines Aufbruchs suchte ich ein Geschäft in Calais auf, um neues Seidengarn für meine Handarbeitsstunden mit den Benoit-Mädchen zu besorgen. Um mich abzulenken und um mich im Haus Benoit nützlich zu machen, hatte ich begonnen, die drei Mädchen in feiner Nadelarbeit zu unterweisen.
Ich stand im Laden und zeigte der Händlerin meine Stickerei, um die passenden Farben auszusuchen, als jemand an dem Tuch zupfte. Erstaunt drehte ich mich um und sah mich einer fülligen Frau mittleren Alters mit einem breitkrempigen Hut gegenüber.
Sie begann in einer mir unbekannten Sprache auf zwei Männer einzureden, die sie begleiteten. Der eine war jung und hager und schien mir ein Gelehrter zu sein, der andere war älter und sehr vornehm gekleidet. Als sie geendet hatte, wandte sich der jüngere auf Französisch an den älteren. Der nickte und sprach mich an.
»Wenn Ihr gestattet«, sagte er, »ich bin der Graf von Southampton. Ich bin mit dem Schutz der Herzogin von Kleve beauftragt, der Braut des Königs von England. Mutter Lowe hier ist die Haushofmeisterin der Herzogin. Sie möchte gern wissen, wer Ihr seid, weil sie, wie sie sagte, keine so schöne Handarbeit mehr gesehen hat, seit sie Deutschland verlassen hat.«
Nun musste ich mich viel früher als erwünscht zu erkennen geben, doch es war nicht zu ändern. Ohne Namen und Familiengeschichte würde es mir niemals gelingen, bis an den königlichen Hof vorzudringen. »Ich komme aus England«, sagte ich. »Mein Name ist Joanna Stafford.«
Southamptons Augen leuchteten auf. »Stafford?«, fragte er. »Verwandt mit dem Herzog von Buckingham?«
»Er war mein Onkel.«
»Aber warum seid Ihr hier?«, fragte er. »Die englischen Hofdamen erwarten die neue Königin in Dover, Canterbury und in Greenwich.«
»Ich gehöre nicht zum Hof«, erklärte ich. »Ich war auf Reisen auf dem Kontinent und bin rein zufällig gerade jetzt auf der Rückreise nach England. Ich habe bereits eine Passage auf einem der königlichen Begleitschiffe gebucht.«
Mutter Lowe machte eine Bemerkung zu dem jungen Gelehrten, der sie dem Grafen ins Französische übersetzte. Mutter Lowe wolle unbedingt Näheres über mich wissen, sagte er.
Und so ging es hin und her, Deutsch, Französisch, Englisch.
»Ja, gewiss – warum nicht«, sagte der Graf
Weitere Kostenlose Bücher