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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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Ruben wieder festen Boden unter den Füßen hatte, sah er sich um. Sie befanden sich auf einer Terrasse, die von hohen Zinnen umgeben war. Zwischen zwei schlanken Türmen führte eine letzte Treppe ins Innere der Abtei wie ins Maul eines Tieres.
    Elisabeth d’Ardevon nahm ihn bei der Hand. Seine Furcht verwandelte sich in freudige Unruhe. Endlich würde er seinem Vater begegnen! Jetzt konnte er es kaum noch erwarten und eilte an der Seite seiner Führerin die Treppe hinauf bis zu einem schweren, mit eisernen Nieten beschlagenen Holztor. Als die Comtesse es berührte, schwang der rechte Flügel auf. Ein junger Mann mit flammend roten Locken trat ihnen entschlossen entgegen, wich aber zurück, sobald er die Comtesse erkannte. In dem Raum hinter dem Tor war es kühl, obwohl durch ein rundes Fenster die letzten Strahlen der Augustsonne fielen. Die dicken Mauern schienen alle Wärme aufzusaugen.
    »Wie reizend, Euch zu sehen, Villeraux«, zwitscherte die Comtesse, und das Gesicht des jungen Mannes nahm die Farbe seiner Haare an. »Der Erzengel erwartet Euch im Rittersaal«, stammelte er und wollte vorausgehen.
    »Ich kenne den Weg«, sagte die Comtesse liebenswürdig, woraufhin Villeraux sich verneigte und zurückblieb.
    Die Comtesse wandte sich nach rechts, wo eine steinerne Rampe hinunter in einen weiten Saal führte, der von eine Säulenreihe in zwei Hälften geteilt wurde und vollkommen leer war. Ihre Schritte hallten von dem Kreuzgewölbe wider, und die feuchte Kälte des Gemäuers kroch Ruben ins Genick. Erst vor einem schmalen Durchgang in der hintersten Ecke des Saales blieben sie stehen. Die Wendeltreppe dahinter war so eng, dass sie nicht nebeneinander gehen konnten. Verlegen blickte Ruben auf seine Füße, während sie die Stufen erklommen, denn es erschien ihm unziemlich, das Hinterteil seiner Begleiterin anzustarren.
    Er war froh, dass die Treppe nur ein Stockwerk hinaufführte und sie dann in einen weiteren Saal entließ. Dieser war mit Wandbehängen und Möbelstücken auf das Gemütlichste eingerichtet. Drei Reihen von Säulen teilten ihn auf, sodass er nur schwer zu überblicken war, doch er musste riesig sein, denn weiter entfernt verloren sich die Säulen im Dunkeln. Soweit Ruben sehen konnte, war außer ihm und Elisabeth d’Ardevon niemand anwesend. Inzwischen war er so aufgeregt, dass er seine Finger verschränken musste, um zu verbergen, wie stark seine Hände zitterten.
    »Müssen wir auf meinen Vater warten?«, krächzte er mit trockener Kehle.
    »Er ist bereits hier«, antwortete eine tiefe, sanfte Stimme in seiner unmittelbaren Nähe. Ruben fuhr zusammen.
    Die Comtesse kicherte. »Erschreck den Jungen doch nicht so, er ist aufgeregt genug!«
    »Verzeihung, ich konnte nicht widerstehen«, kam es heiter und gelassen zurück. Ruben ortete die Stimme hinter sich und drehte sich um. An eine der Säulen gelehnt stand ein Mann, dem braune Locken in das jugendliche Gesicht fielen. Er zwinkerte ihm zu.
    »Willkommen im Inneren Kreis, mein Sohn.«
    Ruben wusste nicht, was er erwidern sollte. Er kannte den Mann, der sich nun von der Säule löste und auf ihn zukam: Es war der Seraph aus dem Gasthaus von Viroflay.
    »Weshalb so erstaunt?« Der Erzengel stand nun genau vor Ruben.
    Cal Savéan sah zwar aus wie ein gewöhnlicher junger Mann, strahlte aber zugleich eine Stärke und Macht aus, die Ruben erzittern ließ, und er musste sich beherrschen, um nicht zurückzuweichen.
    »Es ist das Alter, mein Sohn«, sagte Cal, als hätte Ruben seine Gedanken laut ausgesprochen. »Die Äonen haben sich in meinem Körper und meinem Geist abgelagert wie Gesteinsschichten. Ich bin randvoll mit Zeit.«
    Ruben erschauerte bei dem Gedanken, wie unendlich lange der Erzengel bereits lebte. Noch immer hatte er kein Wort herausgebracht, und allmählich kam er sich etwas dümmlich vor. Seine Augen suchten die Comtesse, die zu einem der beiden großen Kamine gegangen war und sich dort die Hände wärmte. Sie lächelte ihm aufmunternd zu.
    »Vater, ich bin hier, um meine Gabe in Euren Dienst zu stellen«, stammelte er schließlich mit gesenktem Blick. Dann fand er sich plötzlich in einer kräftigen Umarmung wieder und als er aufsah, grinste Cal jungenhaft. Seine Brust unter dem Leinenhemd war hart wie Stein. Als auch Ruben die Arme um seinen Vater schlang, fühlte er auf dem Rücken des Erzengels zwei faustgroße Erhebungen und zuckte zurück.
    »Du kannst sie ruhig berühren, es tut schon lange nicht mehr weh«, sagte Cal

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