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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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widersetzen, sondern ihren Platz in der Weltordnung anerkennen, ginge es ihnen nicht schlecht«, antwortete sie jetzt auf seine Frage, die er über ihrem Anblick beinahe vergessen hatte.
    »Wissen denn die Leute hier im Dorf von den Seraphim?«
    »Bei Kronos, nein! Sie glauben immer noch, dass Mönche in der Abtei leben. Es genügt, dass die Ratsmitglieder Kutten überstreifen und salbungsvoll dreinblicken, wenn sie die Abtei verlassen. Sonntags halten wir sogar Gottesdienste ab!« Die Comtesse kicherte wie über einen gelungenen Streich.
    »Kronos, ist das ein Spitzname meines Vaters?«
    »Alle ursprünglichen Seraphim tragen zwei Namen. Einen alltäglichen und ihren wahren.«
    Während ihres Gesprächs hatten sie die Hauptstraße verlassen, waren um einige Ecken gebogen und betraten nun einen kleinen Garten, der sich unterhalb der Klostermauern an den Hang schmiegte. Sie schlenderten im Schatten von Apfelbäumen dahin und ließen sich auf einer Bank nieder, die ihnen einen Blick aufs Festland gewährte.
    Ruben lag etwas auf der Seele, das er am Vorabend nicht zu fragen gewagt hatte.
    »Was wird mein Vater mit Julie machen, wenn sie hierherkommt?«
    »Das werden wir bald erfahren. Meine Cherubim sind bereits ausgeschwärmt, um sie zu suchen.« Sie lächelte, aber Ruben hatte auf einmal das Gefühl, eine eisige Hand griffe nach seinem Herz. Er war wirklich wütend auf Julie gewesen, als er sie verlassen hatte. Aber er hatte nicht bedacht, welche Folgen das für sie und die beiden anderen haben konnte.
    »Sie werden ihr doch nichts tun, oder?«, fragte er besorgt.
    »Selbstverständlich nicht«, erwiderte die Comtesse. »Der Erzengel wird sie mit offenen Armen empfangen – falls sie Eurem Beispiel folgt und sich ihm anschließt.«
    »Und wenn nicht?« Ruben bohrte den Daumennagel in seine Handfläche. Die Comtesse wandte ihm ihr Gesicht zu, ihre Augen begannen zu strahlen. Sofort schienen ihm seine Sorgen um Julie überflüssig und er widerstand nur mit Mühe dem Bedürfnis, ihre Wange zu berühren. »Ich bin sicher, meine Schwester wird das Richtige tun.«
    Die Comtesse lächelte »Darum müssen wir uns nicht sorgen. Bedauerlicherweise haben meine Diener sie gestern nicht angetroffen, doch bin ich mir sicher, sie wird bald hier sein, um Euch Gesellschaft zu leisten.«

1 6
    Mont St. Michel, August 1789
    U nruhig lief Ruben in seinem Zimmer auf und ab, das etwasvon klösterlicher Strenge an sich hatte mit seinen weiß gekalkten Wänden und dem einfachen Dielenboden. Nach einiger Zeit zwang er sich, zur Ruhe zu kommen, blieb am Fenster stehen und sah hinaus auf die weite Wasserfläche. Er wurde nicht müde, das Spiel der Wellen zu beobachten. Niemals hätte er vermutet, dass das Meer eine so heftige Sehnsucht in ihm erzeugen könnte. Es brachte ihn dazu, dass er sich wieder an die Pläne erinnerte, die er und Henri in den hungrigen Nächten im Schuppen des Kaminkehrermeisters geschmiedet hatte. Und an die fernen Länder, über die sie nur vage Geschichten gehört hatten, und die in ihrer Vorstellung zu märchenhaften Reichen erblüht waren. Erst hier, am Meer, wurde ihm klar, dass man tatsächlich ein Schiff nehmen und damit wegfahren konnte, um all diese Orte mit eigenen Augen zu sehen.
    Heute sollte Cal Savéan nach über einer Woche endlich aus Paris zurückkehren, wobei Ruben sich nicht vorstellen konnte, wie es möglich war, diese Strecke in so kurzer Zeit zu bewältigen. Bestand darin die Gabe des Erzengels? Konnte er sich an jeden beliebigen Ort versetzen? Er dachte an den ersten Abend im Rittersaal, als sein Vater so überraschend erschienen war. Doch er musste noch andere Kräfte besitzen, sicher hatte er sich in den Äonen seines Daseins unendlich viel Wissen und magische Fähigkeiten angeeignet.
    Ruben fand es noch immer schwer zu glauben, dass auch er unsterblich war. Schon einige Male hatte er auf der Bastion von Mont St. Michel gestanden und sich überlegt, was wohl passieren würde, wenn er sich hinunterstürzte. Er würde Schmerzen empfinden, aber nicht sterben, das wusste er – aber bisher hatte er es nur manchmal auch selbst gefühlt, etwa wenn er seine Gabe einsetzte. In solchen Augenblicken war er von all seiner Unsicherheit befreit gewesen: Kein Mensch auf der ganzen Welt war ihm ebenbürtig. Er allein konnte heilen oder Schmerzen bereiten, vielleicht sogar töten, und dafür musste er nicht mehr tun, als jemanden zu berühren.
    Elisabeth d’Ardevon hatte ihm gesagt, dass er dadurch für die

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