Al Wheeler und das Callgirl
1
Die Sonne schob sich langsam
über den Horizont empor, und die Schatten der sich in der leichten Brise
bewegenden Blätter malten leicht psychedelisch anmutende Muster auf die weiße
Fassade des Hauses. Irgendwo sang ein Vogel, und ich war der Ansicht, daß er
angesichts dieser frühen Morgenstunde damit nur bewies, daß er ein
Spatzengehirn hatte. Ich stieg zur Eingangsveranda hinauf und drückte auf den
Klingelknopf. Das gedämpfte Glockengeläute innen tönte noch immer, als die Tür
plötzlich weit aufgerissen wurde und ein magerer kleiner Kerl mich mißtrauisch
durch die dicken Gläser seiner randlosen Brille anstarrte.
»Ja?« Das Wort explodierte
förmlich, so als ob ich ihm gerade einen in den Solarplexus verpaßt hätte.
»Ich bin Lieutenant Wheeler vom
Büro des Sheriffs«, sagte ich. — »Nur ein Lieutenant!« Er schien bitterlich
enttäuscht zu sein. »Mehr bringen Sie nicht auf die Beine ?«
»Das hier ist Pine City«,
knurrte ich. »Und wenn es sich um Mord dreht, kriegen Sie mich. Wenn Ihnen das
nicht paßt, können Sie Ihre Leiche immer noch woanders hinschaffen und von
vorne anfangen .«
»Ich wollte Sie nicht
beleidigen«, sagte er schnell. »Aber, wie ich schon Ihrem diensthabenden Sergeant
erklärte, als ich ihm den Mord meldete, es ist lebenswichtig, daß alles mit
absoluter Diskretion behandelt wird. Es darf keine Publicity geben, nichts darf
in die Presse durchsickern, und die Ermittlungen müssen in einem Minimum von
Zeit erfolgreich abgeschlossen werden .« Er blinzelte
kurzsichtig und richtete sich zu seiner vollen Höhe von schätzungsweise
einem Meter fünfundfünfzig auf. »Hier steht eine Menge auf dem Spiel,
Lieutenant .«
Ich starrte ein paar Sekunden
lang wie gebannt über seinen Kopf hinweg und zuckte dann mit den Schultern.
»Ich sehe sie gar nicht .«
»Wen ?« fragte er nervös.
»Die Männer in den weißen
Kitteln«, brummte ich. »Die mit den großen Schmetterlingsnetzen. Meiner Ansicht
nach werden die Sie bald einfangen müssen, selbst wenn Sie Napoleon sind .«
Er schluckte mühsam.
»Vielleicht kommen Sie besser herein und sprechen mit Mr. — äh — Smith .«
Ich folgte ihm durch den
breiten Eingangsflur, ins Wohnzimmer, das einer Miniaturfreilichtbühne glich.
In einem Sessel saß mir zugewandt ein Mann, eine dicke Zigarre im Mund. Er
mußte um die fünfzig herum sein; sein massiver Kopf war völlig kahl, was ihm
zusammen mit den verschleierten, kalten grauen Augen das Aussehen eines
Caligula verlieh. Ein dicker Frotteemantel umgab seinen massigen Körper und
verdeckte die Schenkel bis hinab zu den Knien. Die nackten, mit schwarzen
Haarbüscheln bedeckten Schienbeine gaben dem Ganzen vollends einen leicht
gespenstischen Anstrich.
»Das ist Lieutenant Wheeler vom
Büro des Sheriffs«, sagte der magere kleine Bursche. »Lieutenant, das hier ist
Mr. Smith .« Er senkte vertraulich die Stimme. »Unter
>Smith< bleibt man inkognito .«
Caligula legte seine Zigarre
vorsichtig auf den Rand eines Aschenbechers und stand auf. »Vermutlich wollen
Sie erst die Leiche sehen, Lieutenant .«
»Das ist so üblich«, pflichtete
ich bei.
Ich folgte ihm über eine
breite, betonierte Terrasse hinter dem Haus und dann seitlich um einen
Swimming-pool herum, dorthin wo sein Betonrand in den kurzgeschnittenen Rasen
überging. Ein Mädchen, halb verdeckt von blühenden Sträuchern, lag auf der
Seite, die Beine angezogen. Abgesehen von den zerrissenen Resten eines weißen
Seidenhöschens auf Höhe ihrer Taille war sie nackt.
Ein Schleier langen schwarzen
Haares verdeckte das Gesicht, und ein wahrhaft teuflisches Muster aus
Quetschungen und Striemen lief über den Unterkörper und den oberen Teil der
Schenkel. Ich kniete nieder und strich sachte das schwarze Haar zurück, um in
das Gesicht der Toten zu sehen. Ihre Augäpfel standen auf groteske Weise
hervor, die schwarzverfärbte Zunge war zwischen die Zähne geklemmt, und
horizontal um ihren Hals verliefen angeschwollene, purpurfarbene Flecken. Ich
ließ den barmherzigen Haarschleier wieder über das Gesicht fallen wie ein
Leichentuch und stand auf.
»Erwürgt«, sagte ich völlig
überflüssigerweise.
Ȇbel zusammengeschlagen, bevor
sie umgebracht wurde, und wahrscheinlich außerdem vergewaltigt«, präzisierte
Caligula mit ausdrucksloser Stimme. »Vermutlich haben Sie eine ganze Reihe
Fragen zu stellen, Lieutenant .«
»Die erste ist die: Wie heißen
Sie in Wirklichkeit, Mr. Inkognito ?« erkundigte ich
mich barsch.
Er
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