Die Prophezeiung der Seraphim
konnte sich natürlich nicht zeigen, darum hatte Julie ihn gebeten, vor der Stadt zurückzubleiben. Er hatte in einer halb verfallenen Scheune Unterschlupf gefunden, und Julie hoffte, dass kein Bauer ihn dort entdeckte.
Wie gut es tat, wieder in einer Stadt zu sein! Unter anderen Umständen hätte Julie sich gerne umgesehen, aber sie mussten so rasch wie möglich Plomion finden, wenn sie auch keine Vorstellung davon hatten, wie. Die Zeichnung knisterte wieder im Mieder ihres blauen Kleides, das Mathilde gewaschen und ausgebessert hatte, und sie konnte kaum erwarten, endlich zu erfahren, wozu das seltsame Gerät dienen mochte. Verstohlen zog sie ihr Amulett hervor, in der vagen Hoffnung, es möge ihr den Weg weisen, aber es sah aus wie immer. Nachdem sie, Nicolas und Fédéric einige Zeit ziellos durch die Gassen gelaufen waren, beschlossen sie, auf dem Markt nach Plomion zu fragen. Vielleicht kaufte er hier seine Lebensmittel und war den Marktleuten bekannt? Doch sie hatten kein Glück, niemand schien den Namen je gehört zu haben. Entmutigt ließen sich die drei auf den Stufen eines Brunnens nieder. Ihre Beine taten weh, weil sie die letzten zwei Tage vom frühen Morgen bis zum Abend gelaufen waren. Die vorherige Nacht hatten sie im Stall eines Bauern übernachtet, der ihnen dafür allerdings beinahe ihr ganzes Geld abgeknöpft hatte. Immerhin hatte der Tiergeruch sie vor den Cherubim geschützt, falls diese noch nach ihnen suchen sollten – woran Julie keinen Zweifel hegte.
Inzwischen war es Mittag, und ihre restliche Barschaft hatte gerade gereicht, um für alle heiße Teigfladen zu kaufen, die an vielen Straßenständen auf glühenden Steinen gebacken wurden. Sie waren mit Speck und Käse gefüllt und schmeckten köstlich. Obwohl die Pfannkuchen so heiß waren, dass man sich die Zunge verbrannte, kauten sie eifrig und tranken dazu den herben Apfelwein, den man ebenfalls überall bekam.
»Ein König könnte nicht besser speisen.« Fédéric wischte sich das Fett vom Mund und rülpste. Nicolas sah ihn angewidert an. »Was bist du für ein Schwein!«
Fédéric grinste. »Ein sattes Schwein, Vicomte Nasehoch.«
»Weshalb gebe ich mich überhaupt mit dir ab?«, stöhnte Nicolas. »Pöbel bleibt Pöbel.«
Julie hörte den Wortwechsel mit Erleichterung. In den letzten beiden Tagen war auch Nicolas nach und nach wieder der Alte geworden, und seine Streitereien mit Fédéric hatten einen freundschaftlichen Unterton bekommen. Umso heftiger war Julies Zwiespalt. Wenn Fédéric ihre Hand nehmen wollte, hatte sie ihn stets mit einem Blick auf Nicolas abgewehrt. Obwohl sie sich danach sehnte, Fédéric nahe zu sein, wollte sie Nicolas nicht verletzen. Er war krank, und er brauchte sie. Seufzend zog sie sich am Brunnenrand hoch und klopfte ihr Kleid ab. »Suchen wir weiter. Wir fragen uns durch die Läden.«
»Hier ist alles voller Menschen«, klagte Fédéric. »Wir finden diesen Kerl niemals.«
»Irgendjemand muss ihn aber kennen, er lebt schließlich hier«, erwiderte Julie.
Sie liefen durch die Straßen bis zur Festung, die die Stadt gegen das Meer abschirmte, und wieder zurück. Julies Fußsohlen fühlten sich taub an und ihre Waden waren hart wie Holz. Den anderen beiden erging es nicht besser. Nachdem sie das Gefühl hatten, sämtliche Straßen und Gassen von St. Malo mehrmals abgeklap pert zu haben, und in jedem Geschäft nach Plomion gefragt hatten, gab Julie auf. Ächzend wie eine Greisin ließ sie sich auf die Eingangstreppe eines Wohnhauses sinken. Fédéric und Nicolas gingen einige Schritte weiter zu einem Wandbrunnen, um sich die Gesichter zu kühlen.
Wieder zog sie ihr Amulett hervor, in der Hoffnung, es möge ihr irgendein Zeichen geben, aber vergeblich. Julie konnte nicht glauben, das sie so kurz vor dem Ziel scheitern sollten. Sie fuhr zusammen, als ein Schatten auf sie fiel.
»Steck das besser weg«, sagte jemand. »Man weiß nie, ob nicht die falschen Augen darauf fallen.«
Julie sah auf. Vor ihr stand ein sehr großer, dünner Mann mit einer reichlich zerrupften Zopfperücke, dessen braun gebranntes Gesicht dem eines gutmütigen Jagdhundes ähnelte und im Gegensatz zu den anderen Bürgern von St. Malo keine Aureole besaß. Sie sprang auf die Füße und warf einen Seitenblick zum Trinkbrunnen. Fédéric und Nicolas hatten nichts bemerkt, sie waren dabei, sich gegenseitig mit Wasser zu bespritzen. Nur Songe stand ihr zur Seite und schmiegte sich an ihre linke Wade.
»Du hast mich gesucht?« Der
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