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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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waren sie aus der Tür.
    Nicolas lehnte am Treppengeländer und blickte hochmütig an ihnen vorbei, obwohl auch er die Cherubim gehört haben musste. Als Plomion sie nicht nach unten führte, sondern die Tür zur Rechten öffnete, packte Julie Nicolas am Arm und zog ihn mit sich.
    Sie waren die Letzten, die durch die Tür schlüpften und sich in mitten von Weißwäsche wiederfanden. Julie schrie auf, als genau hinter ihr ein Cherub durch das Dach brach. Jetzt war sie es, die von Nicolas am Arm gepackt und mitgerissen wurde: die Klauen verfehlten sie um Haaresbreite. Gemeinsam duckten sie sich unter den nassen Unterröcken und Hemden hindurch. Wutentbrannt wollte der Cherub ihnen folgen, verwickelte sich jedoch in die Leinen und kam zu Fall, ein Bettlaken um den Kopf geschlungen.
    Am anderen Ende des Wäschebodens warteten schon die anderen an einer weiteren Tür. Doch diese war mit einem Vorhängeschloss gesichert. In ihrem Rücken rumorte der Cherub, und inzwischen hörten sie auch über sich schwere Schritte. Nicolas trat gegen die Tür, die sich keinen Deut bewegte.
    »Augenblick, Augenblick«, murmelte Plomion, wühlte in seiner Tasche und zog ein Fläschchen aus braunem Glas hervor. »Das müsste gehen.« Er träufelte einige Tropfen des Inhalts auf das Schloss, und verblüfft sah Julie, wie das Metall schmolz. Das Schloss polterte auf die Dielen, und schon waren sie im nächsten Dachboden.
    »Sie sind alle miteinander verbunden«, erklärte Plomion. So schnell und lautlos wie möglich huschten sie weiter, bis Plomion an einer eisernen Wendeltreppe hielt. »Hier ist der einzige sichere Ausgang, die Stiege ist zu eng für die Cherubim.«
    Nacheinander hasteten sie die schmalen Stufen hinab, die sich in Spiralen abwärtswanden. Während Julie mit ihrem ausladenden Kleid kämpfte, sprang Songe ihnen leichtfüßig voran.
    »Mir wird schwindlig«, stöhnte Fédéric, doch da hatten sie das Ende erreicht und wieder Boden unter den Füßen. Vor ihnen lag eine Tür aus dicken Bohlen, deren Schloss Plomion ebenfalls mit Säure öffnete. Als er sie aufstieß, fegte ihnen ein scharfer Wind entgegen und sie hörten den Ozean rauschen. Sie befanden sich auf einem eisernen Steg, der an der Rückseite der Häuser auf den Klippen entlangführte – darunter tobte das Meer so heftig, dass Julie das Gefühl hatte, taub zu werden. Sie liefen so schnell es ging über diesen unsicheren Pfad, der jedes Mal schwankte, wenn sich die Wellen dagegen warfen.
    Julie atmete auf, als sie nach ungefähr zehn Minuten eine Straße erreichten, an deren Bordstein eine Mietkutsche auf Kunden wartete. Mit einem Blick nach oben versicherte sie sich, dass ihnen die Cherubim nicht gefolgt waren.
    Der Kutscher zog ein erstauntes Gesicht, als drei atemlose Herren in äußerst unordentlicher Kleidung und eine junge Frau im Ballkleid sein Gefährt bestiegen. Nicolas zog die Vorhänge zu und Plomion klopfte gegen die Vorderwand. »Abfahrt!«
    Der Wagen ruckte an, Julie schloss die Augen und lehnte sich zurück. »Wenn ich nie wieder in meinem Leben einem Cherubim begegnen müsste, böse wäre ich nicht«, sagte sie.
    »Du hast ziemlich große Ansprüche an die Ewigkeit«, antwortete Nicolas, während er durch einen Vorhangspalt nach draußen spähte.
    »Und wohin sollen wir jetzt?«, fragte Julie.
    »Ich denke, ich weiß, wo wir unterkommen«, sagte Plomion und lächelte geheimnisvoll.
    Das Schloss von Ardevon lag nur eineinhalb Wegstunden von Mont St. Michel entfernt, der sich am Horizont wie eine Sinnestäuschung erhob. Julie konnte den Blick nicht davon abwenden, während die Kutsche, die Plomion dem Fahrer um gutes Geld abgekauft hatte und die er nun selbst lenkte, das letzte Wegstück zurücklegte.
    Der Seraph hatte nicht schlecht gestaunt, als Julie ihn gebeten hatte, außerhalb von St. Malo an einer Scheune anzuhalten, wo Alis sich zu ihnen gesellt hatte. Auch er hatte bislang nur von den legendären Tieren gehört und konnte kaum fassen, dass nun ein leibhaftiges Exemplar neben ihrer Kutsche hertrabte. Sogleich war seine wissenschaftliche Neugier erwacht, und er hatte Julie mit Fragen bestürmt, die die Antworten des Kalokardos an ihn weitergab. Fédéric drängte sich neben ihnen auf den Kutschbock, während Nicolas es vorzog, mit finsterer Miene im Wagen sitzen zu bleiben und zu schweigen.
    Gegen Mitternacht hatten sie das Ziel ihrer Reise erreicht: Die Eremitage von Ardevon, ein Landhaus, das zum Besitz der Grafen von Ardevon gehörte, aber weit

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