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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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streckte die Arme nach ihrer Mutter aus, in der einen Hand noch immer den Holzstab, doch bevor Gabrielle sich ihr nähern konnte, explodierte ein grelles Licht in Julies Kopf und sie verlor das Bewusstsein.
    Sie fand sich am Rand der Kuppel auf dem Boden wieder, zusammengerollt, die Arme um ihre Knie geschlungen. Ihr Kopf schmerzte unerträglich, ihr Mund war ausgetrocknet und ihr Körper fühlte sich ungewohnt schwer an. In der Luft hing noch ein Hauch der verbrannten Kräuter. Erleichtert stellte sie fest, dass sie noch wusste, wer sie war.
    »Ich habe Lethe getrunken«, sagte sie, ihre Stimme klang seltsam gedämpft.
    »Das hast du, aber wohl sehr wenig.« Mathilde kniete neben ihr und strich ihr das nasse Haar aus der Stirn. »Beinahe wärst du nicht zurückgekommen. Aber jemand dort unten hat dir geholfen, mein Kind.«
    »Meine Mutter«, sagte Julie und fing an zu weinen. Endlich brach der Damm, hinter dem sie ihre Trauer zurückgehalten hatte. Immer wieder rief sie wie ein kleines Mädchen » Maman «, obwohl sie wusste, dass es sinnlos war. Sie glaubte, der Schmerz würde sie zerreißen, aber das geschah nicht. Mit den Tränen wurde ein Teil ihres Kummers aus ihr herausgeschwemmt, sodass er nach und nach erträglich wurde.
    Mathilde strich mit sanften, aber festen Händen über ihren Rücken, bis Julies Körper nicht mehr bebte, dann zog sie eine Flasche aus ihrem Korb und reichte sie ihr. Obwohl es bitter schmeckte, trank Julie gierig. Danach fühlte sie sich kräftiger. Sie setzte sich auf und fragte. »Habe ich ihn mitgebracht?«
    Mathilde nickte und zeigte ihr den Stab. »Ich danke dir.«
    Julie drehte ihr nasses Haar zusammen und wrang es aus. »Bitte lass deinen Zauberstab nie mehr in den Teich fallen. Ich glaube nicht, dass ich mich noch einmal überwinden könnte, da hinunterzutauchen.«
    »Ich war unvorsichtig, da hast du recht.« Mathildes Lächeln ließ ihr herbes Gesicht weicher erscheinen.
    Während sich Julie wieder anzog, wischte Mathilde mit einem Grasbüschel die Asche von dem flachen Stein und verstaute ihre Utensilien in ihrem Korb. Den Zauberstab schob sie in ihr Gewand. »Kehren wir zurück, ich muss die Ziegen melken«, sagte sie sachlich, und Julie war ihr dankbar, dass sie nicht fragte, was im Teich geschehen war. Bevor sie die Kuppel auf demselben Weg verließen, wie sie hereingekommen waren, warf Julie einen letzten Blick auf den Lethe-See und flüsterte: »Danke, Maman .«
    Der Rückweg kam ihr viel kürzer vor als der Hinweg, und bald standen sie wieder vor Mathildes Gartentor. Songe jagte nach Schmetterlingen und Fédéric saß neben dem Eingang auf der Bank und schnitzte an einem Stück Holz. Bei seinem Anblick durchzuckte Julie ein freudiger Stich, ganz so, als hätte sie ihn lange Zeit nicht gesehen.
    Er lächelte breit, als er sie kommen sah, und rutschte beiseite, damit sie sich neben ihn setzen konnte. »Du siehst besser aus.« Er versetzte ihr einen freundschaftlichen Rippenstoß und bekam einen Fausthieb auf den Oberarm zurück. »Aua! Du bist wirklich wieder in Form! Was ist passiert?«
    »Ich weiß nicht so genau.« Auch wenn es sie froh machte, dass Fédéric nicht mehr wütend war, wollte sie das Erlebnis am Teich für sich behalten. Sie schloss die Augen, genoss die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut und dass sie am Leben war. Sie fühlte sich gelassen und stark wie seit langer Zeit nicht mehr.

1 8
    St. Malo, August 1789
    S ie erreichten St. Malo bei Flut. Die Wellen brachen sich an demDamm, über den der einzige Zugang führte, und bespritzten sie mit salzigen Schauern. Julie zuckte jedes Mal zusammen, wenn wieder eine Welle gegen die schwarzen Mauern krachte und sie fürchtete, ins Wasser gerissen zu werden. Sie und Fédéric sahen das Meer zum ersten Mal und versuchten vergeblich zu begreifen, dass es so viel Wasser an einem Ort geben konnte. Das Städtchen selbst schien eher dem Meer anzugehören als dem Land, nur durch die Nabelschnur des Damms daran gehindert, davonzutreiben.
    Als sie das Haupttor passierten, waren Julies Knie so weich, als käme sie von Deck eines Schiffs. Innerhalb der Stadtmauern war ihr wohler. Die mehrstöckigen Häuser und schmalen Gassen erinnerten sie an Paris, wenn St. Malo auch ungleich sauberer war und besser roch. Statt Tauben gab es hier Möwen. Sie kreisten über den Dächern und stießen knarrende Schreie aus, hockten auf Fenstersimsen und starrten mit ihren Glasaugen auf die Menschen herab, die zwischen den Mauern wimmelten.
    Alis

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