Die Prophezeiung der Seraphim
Herzkristall perfekt hineinpassen, aber Plomion riet, ihn erst einzufügen, wenn sie auf der Insel wären.
»Wie funktioniert das Ding eigentlich?«, fragte Fédéric.
»Ebenso einfach wie genial.« Plomion nickte Julie zu, gleichsam als Anerkennung für die Leistung ihres Pflegevaters. »Der Herzkristall fängt magisches Licht auf und transformiert es, man könnte auch sagen: lädt es mit seiner Kraft. Diese Linse hier vorne bündelt den Strahl, was seine Energie konzentriert. Wird er auf ein Seelenglas gerichtet, versetzt es dessen Struktur in heftige Schwingungen, wodurch es dann hoffentlich platzen oder schmelzen sollte.«
»Woraus sind denn die Seelengläser gemacht?«, fragte Julie.
»Aus Magie und Bosheit«, antwortete Plomion. »Der Erzengel stellt sie selbst her, aber wie, das weiß niemand genau. Deshalb können wir auch nicht ganz sicher sein, ob die Kristallkanone funktioniert, wenn mir auch Jacques’ Berechnungen plausibel erscheinen.«
»Und woher kommt das magische Licht?«, fragte Julie.
Plomion hüstelte. »Nun ja, das ist ein wenig kompliziert. Man braucht eine Quelle, die ein großes Quantum magischer Energie gespeichert hat. Ich kann nur hoffen, dass wir in der Abtei auf eine solche stoßen.«
»Die Amulette!« Vor Aufregung ergriff Fédéric Julies Hand. »Erinnerst du dich, wie sie anfingen zu leuchten, als ihr sie zusammenbringen wolltet?«
»Das muss es sein!« Julie fasste sich an die Stirn. »Ich hatte das schon fast vergessen. Dabei hat Songe noch gesagt, dass in den Steinen Magie gespeichert ist!«
»Aber das heißt, dass wir die Waffe ohne Ruben nicht benutzen können«, sagte Fédéric düster.
Julie atmete tief ein. »Wenn es sein muss, werde ich ihm sein Amulett wegnehmen!«
Ihr Herz klopfte heftig. Nun, da die Kristallkanone vor ihr lag, und sie wusste, dass sie am folgenden Morgen nach Mont St. Michel aufbrechen würden, fühlte sie sich gleichzeitig erwartungsvoll und angespannt. Noch hatte Songe eine schwierige Aufgabe vor sich, und es war keineswegs sicher, dass sie erfolgreich sein würde.
1 9
MontSt . Michel,August1789
R uben kam sich wie ein Dieb vor. Es war früher Morgen undtatsächlich war es ihm gelungen, aus seiner Kammer zu schlüp fen, bevor Villeraux vor seiner Tür erschienen war. Er hatte sich in die Bibliothek geschlichen, einen hohen Saal, in dem das Licht durch schmale Fenster auf die vom Alter schwarzen Lesetische fiel. In den Regalen standen dicht an dicht in Leder gebundene Bücher, viele in Sprachen, die Ruben nicht kannte. Wo waren die Chroniken? Die Zeit drängte, jeden Augenblick konnten Villeraux oder sogar der Erzengel selbst auf der Suche nach ihm hereinkommen.
Nachdem er zahllose Bände aus den Regalen herausgezogen und enttäuscht wieder zurückgestellt hatte, entdeckte er in einer Nische, die halb von einem anderen Regal verdeckt wurde, einen riesigen Schrank. Seine Türen waren mit Eisenbändern verstärkt und er sah aus, als würde er sogar einem Feuer standhalten. Zu Rubens Überraschung war er nicht verschlossen. Er klappte die Türen auf und ein Schwall staubiger Luft kam ihm entgegen, etwas huschte davon und verschwand im Schatten einiger Manuskripte. Ruben wusste sofort, dass er gefunden hatte, was er suchte.
Die Chroniken der Seraphim hatten ganz unterschiedliche Formate und Einbände, es gab nachlässig zusammengeheftete Sammlungen loser Blätter, dünne Hefte, aber auch schwere, in Leinen oder Leder gebundene Folianten mit Goldschnitt und sogar Schrift rollen. Offensichtlich gab es keine zeitliche Reihenfolge, und dieses Durcheinander war wahrscheinlich Absicht, damit nur Eingeweihte sich zurechtfinden konnten.
Entmutigt starrte er in den Wirrwarr. Es würde Wochen dauern, alles auch nur flüchtig durchzusehen. Er streckte die Hand aus, zögerte kurz und zog auf gut Glück einen eher schmalen, in grünes Leinen gebundenen Band heraus und schlug ihn noch im Stehen auf. Enttäuscht stellte er fest, dass er die Schrift, die aus kleinen Dreiecken und Schleifen bestand, nicht entziffern konnte.
Das ist Griechisch, sagte jemand in seinem Kopf. Er ließ das Buch fallen. Wer hatte eben gesprochen? Sich umzudrehen wagte er nicht.
Ein Gefühl von Belustigung, das nicht sein eigenes war, flackerte in seinem Inneren auf. Es fühlte sich an, als schlüpfte jemand in seinen Geist hinein wie in einen Handschuh. Unwillkürlich keuchte Ruben leise.
Daran gewöhnt man sich, keine Angst. Dreh dich um.
Ruben folgte der Anweisung. Auf dem
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