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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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funktionierten. Nicolas trat zu ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr, worauf die Comtesse Julies Vater mitten im Satz stehen ließ und auf Julie zukam. Sie glitt mehr, als sie ging, mit einer raubtierhaften Anmut, die etwas Beängstigendes an sich hatte.
    »Du bist also Julie, die Tochter von Meister Lagarde?«
    Die Stimme der Comtesse war klangvoll und warm. Julie sah ihr in die Augen, und auf einmal war ihr, als könnte sie ohne dieses schöne Gesicht nicht mehr leben. Sie würde alles tun, um dieser Frau zu gefallen. Nichts anderes war mehr wichtig auf der Welt – doch ganz tief in Julie gab es etwas, das sich dieser Anziehungskraft widersetzte: Ein kleiner Fleck ihrer Seele blieb unberührt, und sie legte ihre Hand auf das Amulett unter dem Kleid. Die seltsamen Augen folgten Julies Bewegung, dann streckte die Comtesse den Arm aus. Julie wich unwillkürlich zurück, aber nur einen halben Schritt.
    »Was für eine Entdeckung«, sagte die Comtesse. »Eine Rose im Schlamm.« Sie drehte sich zu Julies Vater um, der wie betäubt dastand und immer noch eine der Uhren in der Hand hielt.
    »Meister Lagarde, Ihr könnt Eure entzückende Tochter nicht in diesem Elendsviertel aufwachsen lassen. Gebt Sie mir als Gesellschafterin mit. Ich langweile mich immer so in meinem Stadtpalais, wenn ich alleine bin«, rief sie aus.
    »Du bist nie alleine, Mutter«, sagte Nicolas. »Ganz Paris gibt sich bei dir die Klinke in die Hand.«
    Mit den Worten »Du halte den Mund!«, fuhr die Comtesse herum. Ihre Stimme klang plötzlich nicht mehr weich, und Julie erschauerte. Nicolas lächelte nur. Es war ein trauriges Lächeln, das nicht zu seinem arroganten Auftreten passte.
    »Was sagst du zu meinem Angebot, Julie?« Die Stimme der Comtesse d’Ardevon war wieder honigsüß.
    Julie zögerte. Ein Teil von ihr wollte dieser Frau folgen, aber die eine, unberührte Stelle in ihr weigerte sich, diesem Wunsch nachzugeben. Sie sah ihren Vater an.
    »Äußerst großzügig von Euch, Madame«, stammelte Jacques. »Meine Tochter wird sich glücklich schätzen.«
    Die Comtesse wandte sich erneut Julie zu. Die Uhren tickten. Julies Blick wanderte zu Nicolas, der beinahe unmerklich den Kopf schüttelte. Der Ausdruck in seinen Augen war schwer zu deuten. War es Besorgnis?
    »Madame, ich kann leider nicht Eure Gesellschafterin werden«, sagte Julie, bemüht, ihre Stimme fest klingen zu lassen. »Meine Mutter braucht meine Hilfe im Haus.«
    Für einen Augenblick erschien etwas im vollkommenen Gesichtder Comtesse, das Julie Angst machte, und die dunklen Augen strahlten auf wie weißglühendes Metall. Doch es war so rasch vorüber, dass sie sich wohl getäuscht hatte.
    »Wie bedauerlich«, sagte die Comtesse und zog die Augenbrauen hoch. »Nicolas, wir gehen!«
    Der Uhrmacher sprang vor, um ihr die Türe aufzuhalten.
    Julie sah der Besucherin nach – nahe daran, ihr zu folgen und doch darum zu bitten, von ihr aufgenommen zu werden –, da fühlte sie plötzlich, wie ihre Hand ergriffen wurde. »Glück gehabt«, flüsterte Nicolas. »Zumindest für heute.« Seine Lippen berührten Julies Handrücken, dann eilte er seiner Mutter nach.
    Als der Kutscher schnalzte und das Gespann sich in Bewegung setzte, hatte Julie das Gefühl, aus großer Tiefe wieder an die Wasseroberfläche zu kommen. Sie stellte sich neben ihren Vater und sah dem Gefährt nach, und je weiter es sich entfernte, umso befreiter fühlte sie sich.
    »Bist du böse, dass ich das Angebot nicht angenommen habe?«, fragte Julie ihren Vater und lehnte sich an ihn. Er fühlte sich stark und warm an. Verwundert sah er sie an. »Welches Angebot, mein Sternchen?« Ohne ein weiteres Wort ging er zurück in den Laden und schloss die Tür hinter sich.
    »Er kann sich nicht mehr erinnern«, murmelte Julie. Das machte ihr mehr Angst als alles andere, was gerade geschehen war.
    Erst jetzt entdeckte sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite Fédéric, der an einer Hauswand lehnte und einen Apfel aß. Sie winkte ihm zu, und er schlenderte langsam herüber.
    »Wer war denn der parfümierte Laffe?« Fédéric spuckte ein paar Apfelkerne auf das Pflaster.
    »Nicolas d’Ardevon«, sagte sie. »Seine Mutter wollte eine Uhr kaufen.«
    »Ja, seine Mutter vielleicht«, sagte Fédéric. »Er schien mir etwas anderes im Sinn zu haben.«
    Julie sah ihn an und bemerkte erst jetzt seine düstere Miene. »Was ist los mit dir, Guyot?«
    Fédéric zuckte die Achseln und trat gegen die Stufe vor der Ladentür. »Mach doch,

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