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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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Küste bringt.«
    »Ich kann doch meine Eltern nicht einfach alleine lassen«, Julie lachte ungläubig.
    Nicolas hob den Kopf. »Julie, in diesem Moment sind die Häscher meiner Mutter in eurem Haus.«
    Julie schlug die Hand vor den Mund, ihr wurde plötzlich kalt. »Das sagst du mir erst jetzt?«
    Er hob die Augenbrauen. »Wie hätte ich dich sonst lange genug aufhalten können, damit du nicht in ihre Hände fällst?«
    Ohne nachzudenken, stürzte sie sich auf Nicolas und schlug auf ihn ein, bis er ihre Handgelenke zu fassen bekam und sie festhielt. »Was ist mit meinen Eltern?«, schrie sie. »Bring mich sofort nach Hause!«
    »Das werde ich nicht«, erwiderte er ruhig.
    »Ich hab dich nicht darum gebeten, mich zu retten!«, rief Julie und versuchte, ihn zu treten – was ihm nicht einmal aufzufallen schien. Ihre Haube rutschte ihr über die Augen, und es trug zu ihrer demütigenden Lage bei, dass sie abwarten musste, bis Nicolas sie ihr abnahm. Er hatte tatsächlich die Frechheit, zu schmunzeln. Sie konnte fühlen, dass ihre Frisur wie ein Vogelnest auf ihrem Kopf hing, und schüttelte ihn heftig, sodass die Nadeln aus ihrem Haar sprangen und es ihr offen auf die Hüften fiel. Nicolas öffnete den Mund, aber bevor er etwas sagen konnte, fauchte Julie: »Wage es nicht, eine Bemerkung über mein Aussehen zu machen! Und jetzt will ich zurück nach St. Marcel!«
    »Was glaubst du, würden deine Pflegeeltern wollen?«, zischte Nicolas, nur wenige Millimeter von ihrem Gesicht entfernt. »Dass ich dich den Helfern meiner Mutter in die Arme laufen lasse oder dass ich dich in Sicherheit bringe?«
    Einen Moment lang zögerte Julie. Nicolas hatte recht, auch wenn es ihr nicht gefiel. Jacques und Gabrielle würden wollen, dass sie sich rettete. Trotzdem brachte sie es nicht über sich, einfach davonzulaufen. Sie hörte auf, sich gegen Nicolas zu wehren, und sah ihn ruhig an. »Bring mich sofort zurück – oder ich gehe zu Fuß.«

4
    Paris,Juni 1789
    R uben rutschte langsam im Kamin nach unten. Es war unerträglich eng. In den letzten Wochen war er in die Höhe ge schossen, was die Arbeit noch mühseliger machte. Meister Givret hatte bereits angemerkt, er esse wohl zu üppig. Reiner Hohn an gesichts seiner eingefallenen Wangen und hervorstehenden Rippen.
    Ruben wusste, dass er irgendwann in einem der Kamine stecken bleiben würde. Und er wusste auch, was in einem solchen Fall geschah: Meister Givret würde ein Feuer machen. Rauch und Hitze würden Ruben dazu antreiben, all seine Kräfte einzusetzen, um sich zu befreien – sollte ihm das nicht gelingen, würde er einfach ersticken. Deshalb arbeitete er sich weiter vorsichtig nach unten, atmete flach unter der Kapuze und tastete mit den Zehen die Mauer ab. Das Schabeisen an seinem Gürtel drückte ihm in den Bauch, doch er achtete nicht darauf. Eine leichte Drehung verschaffte ihm etwas Spielraum und er brachte die letzten Meter hinter sich. Bevor Meister Givret ihn auf den Hinterkopf schlagen konnte, griff er sich den bereitliegenden Sack und begann, den Ruß hineinzuschaufeln. Er drehte sich auch nicht um, als eine Tür geöffnet wurde und Absätze über das Parkett klapperten. Erst als Givret »Zu Euren Diensten, Erlaucht« stammelte, blickte Ruben auf und linste an der vierschrötigen Gestalt seines Brotherrn vorbei.
    Vor Überraschung musste er die Augen schließen, riss sie aber sogleich wieder auf. Mitten im Zimmer stand eine Frau, so schön, dass sie einem Märchen entstiegen schien. Ruben war bei der Arbeit schon etlichen hohen Herrschaften begegnet und hatte festgestellt, dass sie sich außer durch ihre Kleidung und ihren Leibesumfang kaum vom gemeinen Volk unterschieden. Sie hatten schlechte Haut, faulige Zähne und Tränensäcke unter den Augen und erinnerten ihn an Rinder, die man in Seide und Brokat gehüllt hatte – plump und dumm. Diese Frau war jedoch von ausgesuchter Zart heit, wie eine kostbare Porzellanfigur, und sie trug nicht die übliche steife Robe, sondern wurde von vielschichtigen losen Gewändern umflattert, als würde ein leichter Wind ihre Trägerin umwehen. Selbst ihr schimmerndes dunkles Haar bewegte sich leicht, obwohl alle Fenster und Türen geschlossen waren.
    Ruben merkte, dass er die Luft angehalten hatte. Er blies den Atem aus, wobei er Ruß aufwirbelte, der ihm in die Augen stob und ihn zum Husten brachte.
    »Wen haben wir denn da?« Die schöne Dame lächelte und beugte sich vor, um in die Feuerstelle zu spähen. Meister Givret sprang

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