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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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zur Seite, als sie näher an den Kamin herantrat und auf den am Boden kauernden Ruben hinabsah. Er saß vor ihr wie eine flügellahme Amsel, schwarz von Kopf bis Fuß und zu verwirrt, um aufzustehen. Sein Anblick entlockte dem roten Mund ein Lächeln. »Ein kleiner Mohr, wie reizend. Komm da heraus, mein Zuckerstück, und lass dich betrachten.«
    Ruben krabbelte aus dem Kamin, wobei er jede Menge Ruß und Asche aufwirbelte. Die Dame blieb inmitten des Gestöbers stehen, und als es sich gelegt hatte, waren ihre Kleider so fleckenlos wie zuvor.
    »Wie heißt du, mein Junge?«
    Ruben verneigte sich so gut er konnte, doch er brachte kein Wort heraus. Noch nie war er sich seiner löchrigen Hosen und des schmutzigen Hemds so bewusst gewesen.
    »Ich bin Elisabeth, Comtesse d’Ardevon. Und du, mein Hübscher, wer bist du?«
    Wie süß und voll ihre Stimme klang! Ruben starrte sie an und überlegte, wie er sie dazu bringen könnte, weiterzusprechen. Dann nahm er all seinen Mut zusammen und sagte mit einer erneuten tiefen Verbeugung: »Ruben Grimaud. Erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen.«
    Ihr Lachen drang wie ein Pfeil in Rubens Herz, und vor lauter Verwirrung verneigte er sich nochmals.
    »Welch gute Manieren!«, sagte die Comtesse. »Genau das, was ich suche.« Sie wandte sich an Meister Givret. »Ich brauche einen Pagen, der mich bei meinen Ausfahrten begleitet. Ich kaufe dir den Jungen ab. Zweihundert Livres sollten reichen.«
    »Natürlich, Erlaucht, selbstverständlich«, sagte der Kaminkehrermeister verzückt.
    Ruben begriff nicht recht. Sollte er etwa hierbleiben, in diesem herrlichen Palais? Da schoss ihm ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf. Er überwand seine Scheu und trat einen Schritt auf die Comtesse zu: »Verzeiht mir, aber ich kann meinen Freund nicht alleinlassen«, sagte er, den Blick auf den Boden geheftet.
    Sie zögerte kaum merklich. »Ach, es gibt noch einen von deiner Sorte? Gut, wenn dir so viel an ihm liegt, soll er ebenfalls mein Page werden.« Mit einem leichten Flattern ihrer Hand rief sie einen livrierten Diener herbei, der an der Tür gewartet hatte und nur wenige Jahre älter war als Ruben. Der junge Mann blinzelte nervös, während die Comtesse mit ihm sprach, und Ruben bemerkte, dass seine Hände zitterten.
    »Bezahl den Kaminkehrermeister, dann lass die Jungen baden und neu einkleiden. Unter Nicolas’ alten Sachen wird sich etwas finden.«
    Der Diener verneigte sich tief, offensichtlich erleichtert, dass sich die Aufmerksamkeit seiner Herrin von ihm abwandte. Er winkte Ruben, ihm zu folgen.
    Ohne sich von Meister Givret zu verabschieden, folgte er dem Lakai, noch ganz benommen von dem, was gerade geschehen war. Hieß das, er musste keine Kamine mehr hochklettern? Nie wieder den Ruß einatmen und in der stickigen Enge das Scharren des Schabeisens hören? Wilde Freude bäumte sich in ihm auf: Er war erlöst – und Henri ebenfalls!
    Sie holten Henri in einem anderen Salon ab, und Ruben grinste über Didiers dummes Gesicht, als der junge Lakai ihm erklärte, weshalb. Auch Henri hielt sich nicht mit Abschiednehmen auf. Seine Hundeaugen leuchteten, und er rempelte Ruben immer wieder mit dem Ellenbogen an.
    »Pagen!«, flüsterte er. »Wir werden so verdammt vornehm sein, dass uns der Regen in die Nasenlöcher läuft!«
    »Warte ab, bis du erst die Comtesse siehst«, sagte Ruben. »Sie ist … sie ist …« Er war außerstande, sie zu beschreiben.
    Der Diener brachte sie in den Wirtschaftshof auf der Rückseite des Gebäudes, wo braune Hühner im Staub scharrten und ein Küchenmädchen gerade Kartoffelschalen auf einen Abfallhaufen kippte. Sie kicherte, als sie die Jungen erblickte, und Ruben spürte verärgert, dass er rot wurde.
    »He, hörst du eigentlich zu?« Der Lakai, nun gar nicht mehr furchtsam, schubste ihn leicht und wies auf einen Eimer mit Wasser, einen Klotz Seife und zwei Bürsten, die auf einem alten Tisch bereitstanden. »Macht euch sauber!«, befahl er und verschwand wieder im Haus.
    Die Jungen genierten sich etwas, sich auszuziehen, denn im Hof herrschte reger Betrieb, aber es half nichts: So schmutzig konnten sie ihren neuen Dienst nicht antreten. Gegenseitig schrubbten sie sich, bis der letzte Rußfleck verschwunden war.
    Gerade, als sie damit fertig waren und sich mit den bereitliegenden Leinentüchern trockneten, kam auch der Lakai mit einem Berg von Kleidern zurück. Er betrachtete Ruben und Henri jetzt anscheinend als Kollegen, denn er stellte sich als Philippe vor

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