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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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und neigte sich verschwörerisch zu ihnen: »Ich gebe euch einen guten Rat: Wenn die Herrin euch Anweisungen erteilt, befolgt sie sofort! Sie kann entsetzlich wütend werden, wenn ihr etwas nicht passt.«
    Ruben sah ihn ungläubig an. »Sie wird wütend?«
    Philippe nickte und fügte hinzu: »Gnade euch Gott, wenn ihr ihren Unwillen auf euch zieht.«
    Ruben war sich sicher, dass der Ältere sie nur auf den Arm nehmen wollte. Unmöglich, dass die Comtesse auch nur die Stimme erhob! Sie war das sanfteste, liebenswürdigste Wesen, dem er je begegnet war.
    Unterdessen hatten sie sich angekleidet. Als Ruben Henri ansah, musste er lachen. Der Jüngere trug jetzt einen brombeerfarbenen Gehrock und eine hellblaue Weste, dazu eine blütenweiße Halsbinde und Schuhe mit silbernen Schnallen – alles etwas zu groß. Ihm selbst passten die Sachen besser, zudem war sein Gehrock silbergrau und die Weste darunter hellgrün.
    Zum Abschluss stülpte Philippe ihnen noch weiße Zopfperücken über die Köpfe. Mit belustigter Miene sah er zu, wie Ruben und Henri auf und ab stolzierten und sich wie vornehme Herren voreinander verneigten.
    Tatsächlich veränderte sich das Leben der beiden Jungen vollkommen. Sie lebten im Palais der Comtesse wie die Maden im Speck, wie Henri auszurufen pflegte. Man hatte ihnen ein Zimmer im Dachgeschoss zugewiesen, wo auch die übrige Dienerschaft untergebracht war. Außer Philippe sprach jedoch keiner der anderen Lakaien mit ihnen. Man übersah sie – was Ruben darauf schob, dass die anderen Bediensteten wohl neidisch auf sie waren.
    Anfangs erwarteten Ruben und Henri noch, von der Comtesse gerufen zu werden, denn sie waren schließlich als Pagen eingestellt worden, aber kein einziges Mal wurden ihre Dienste benötigt. Da sie ohne Erlaubnis nicht wagten, das Palais zu erkunden, blieben sie im Dachgeschoss und verließen kaum ihr Zimmer. Philippe kümmerte sich um sie, brachte ihnen Kartenspiele bei, mit denen sie sich die Zeit vertrieben, und sorgte für mehrere üppige Mahlzeiten am Tag. Bald waren Ruben und Henri nicht mehr wiederzuerkennen. Ihre spitzen Gesichter rundeten sich und aus Kümmerlingen wurden ansehnliche Knaben. Besonders Ruben entwickelte Muskeln, und als die Mattigkeit aus seinem Körper wich, fühlte er sich stark und voller Tatendrang. Schnell wurde es ihm zu langweilig, immer nur herumzusitzen.
    »Wenn die Comtesse uns nur endlich rufen würde!«, rief er eines Nachmittags aus, während er wie ein gefangenes Tier durchs Zimmer strich. »Weshalb hat sie uns überhaupt eingestellt, wenn sie nichts für uns zu tun hat?« Er wünschte sich so sehr, seine Retterin wiederzusehen.
    »Worüber beschwerst du dich?«, fragte Henri, der es sich auf dem schmalen Bett gemütlich gemacht hatte. »Uns geht es so gut wie nie. Mir ist nur recht, wenn sie uns vergessen hat, solange wir was zu futtern kriegen!«
    »Das verstehst du nicht«, erwiderte Ruben. »Du hast sie ja noch nicht einmal gesehen.«
    »Das klingt, als wolltest du sie heiraten«, sagte Henri. »Bring doch ihren Mann um, dann wirst du Graf!« Grinsend nahm er sich einen Hähnchenschlegel vom Tisch und biss hinein, dass das Fett spritzte.
    »Sehr witzig. Und hör endlich auf zu fressen, du bist schon fett wie ein Schwein.«
    Henri blickte an sich hinunter und klopfte sich auf den Bauch. »Vorrat für Notzeiten. Du glaubst doch nicht, dass das hier ewig dauert.«
    Ruben trat an das kleine Dachfenster und blickte über die Dächer der benachbarten Gebäude. Wenn er sich reckte, konnte er ein Stück der Straße sehen, wo Dienstboten entlangeilten, Kutschen und Karren über den Fahrdamm rumpelten und herausgeputzte Zofen Schoßhündchen spazieren führten. Wie er sich nach frischer Luft sehnte! Er straffte die Schultern und drehte sich zu Henri herum. »Ich gehe raus«, sagte er. »Wir sind schließlich keine Sklaven.«
    »Was denn sonst?« Henri leckte sich das Fett von den Finger kuppen. »Hast du schon vergessen, dass deine Comtesse uns Givret abgekauft hat?«
    »Niemand hat uns verboten, ein bisschen rauszugehen. Kommst du mit?«
    Henri rülpste, dann seufzte er und erhob sich. »Was für ’ne Frage.«
    Sie zogen ihre Jacken über, schlüpften leise aus dem Zimmer und gingen den Korridor entlang bis zu der Wendeltreppe, die nach unten führte. Niemand war in der Nähe und sie huschten schnell die Stufen hinab. In jedem Stockwerk zweigte ein schmaler Gang ab, der zu den versteckten Türen führen mochte, durch welche die Diener die

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