Die Pubertistin - eine Herausforderung
Kinder. Schon fängt der Vater an, sich im Gemeindeblatt über die Arbeit des Ortsausschusses zu informieren, während ich voller Interesse das aktuelle Programm der örtlichen Volkshochschule studiere. Wollte ich nicht immer schon Latein lernen? Oder doch lieber Esperanto? Ach, abwarten, was ist, wenn die Damen aus dem Haus sind. Jetzt wird erst mal der neue Lebensabschnitt gefeiert, wir laden in den Speckgürtel ein.
An diesem Samstagmorgen haben wir in unserer kleinen Vierer- WG am Ende der verkehrsberuhigten Sackgasse für zehn Uhr das Planungstreffen anberaumt:Wer fährt was einkaufen, wer räumt die Gartenmöbel und Bierkisten raus, was wollen wir kochen, marinieren, derlei. Als Letzte und äußerst schlecht gelaunt kommt die Pubertistin aus ihrem Zimmer geschlichen. Das Blondhaar verlegen, die Augen noch ganz klein, mault sie erst einmal rum, um diese Uhrzeit nicht in der Lage zu einem einzigen klaren Gedanken zu sein. Wir ahnen, was die nächsten Stunden für uns bereit halten. Ein Kind, störrisch wie ein Esel, renitent und reizbar, ein Kind, das wir hassen werden, obwohl wir uns doch gerade heute alle noch mal richtig liebhaben wollen.
Die erste Runde gewinnt die Pubertistin: Sie muss nicht zum Einkaufen fahren, ihr Vater verzichtet »auf diese Fresse«. Also setze ich sie im Innendienst ein und fordere sie auf, schon mal ihr Zimmer aufzuräumen. Sie überspringt einfach ein paar Eskalationsstufen und rebelliert offen. Hallo!? Ich check’s nicht!, tönt es rauh aus ihrem zarten Mund, ich hab’ erst vor zwei Wochen aufgeräumt. – Hör einfach auf zu diskutieren und mach, was ich dir sage, antworte ich. Das hätte ich besser nicht gesagt. Die Pubertistin kennt ihre Rechte. Hallo!? Ist jetzt hier Diktatur? Ich erspare Ihnen die weiteren Einzelheiten.Nur so viel: Es fallen meinerseits die Wörter Taschengeld und kürzen, dann rummst ihre Zimmertür ins Schloss, und es wummert menschenverachtende Untergrundmusik durchs Haus.
In der nächsten halben Stunde sehe ich die Pubertistin durchs Haus stapfen. Mal zwingt sie einen Klumpen Dreckwäsche in den dafür vorgesehenen Korb, dann stellt sie eine Batterie Pfandflaschen vor der Kellertür ab, im nächsten Schritt füllt sie mit den Schulbroten der letzten Woche den Mülleimer. Alles mit jenem herausfordernden Blick, der Eltern dringend davor warnt, sie das Naheliegende zu fragen. Nämlich wer bitte die Flaschen die Kellertreppe hinunterträgt oder warum, verdammt, sie so vehement darauf besteht, jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe Schulbrote zubereitet zu bekommen, wenn sie sie ja doch nicht isst. Quatsch mich an, sagt ihr kajalumrandeter Blick, und du wirst sehen, was du davon hast.
Eine Weile schaue ich mir das an. Eine sehr lange Weile. Dann ist High Noon. Als ich sie bitte, die verkrusteten Müslischalen, die sie aus ihrem Zimmer in den Geschirrkreislauf zurückführt, nicht nur auf,sondern in die Spülmaschine zu stellen, nimmt sie mich ins Visier. Es ist einer jener Blicke, die man normalerweise von jugendlichen Mitreisenden in der S-Bahn geschenkt bekommt, wenn man sie bittet, den Ton ihres Handy-Pornos etwas runterzuschrauben. Oder von Mitarbeiterinnen im ostdeutschen Servicebereich, denen man den Cappuccino wegen inakzeptabler Sprühsahne zurückgehen lässt. Hinter ihren platinblonden Haarsträhnen hervor starrt die Pubertistin mich an, ihr Blick kommt direkt aus einem Höllenschlund. Und verdammt, jetzt ist es aus. Ich tue, was ich hasse.
Ich fange an zu schreien. Laut. Ausdauernd. Vor Wut steigen mir Tränen in die Augen, ich renne quer durchs Haus, knalle Türen, trampele vor Wut. Ich schreie DU!!! DU!!! Den Drang, die Pubertistin zu schütteln, kann ich knapp unterdrücken. Ganz, ganz knapp. Unfassbar.
Es wird dann noch ein schöner Abend. Die Pubertistin hat endlich jemanden gefunden, der ihr ihren Hass zurückgibt. Ich habe die Demütigungen dieses Tages schreitherapeutisch verarbeitet. Danach frischen wir beide unser Make-up auf, und bald daraufklingeln auch schon die Oma und der Opa, der Onkel, die Tante und die Cousins. Das Kind ist jetzt ein zugewandter, ganz und gar liebenswürdiger Kleinmensch.
Auch ich bin jetzt ruhiger. Ich habe dermaßen rumgeschrien, dass meine Stimmbänder in den Streik getreten sind. Ich koche eine Kanne Salbeitee, lächle stumm den Gästen zu und genieße den Anblick meiner vielversprechenden Töchter im Kreis der Familie. Als die Oma mich fragt, was mit meiner Stimme los ist,
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