Die Pubertistin - eine Herausforderung
Jahren Sekundarstufe I in ihren hübschen Kopf zu transformieren.
Der Vater und ich halten uns bereit, wir wissen, was jetzt kommt. Und tatsächlich, um 18.30 Uhr öffnet sich die Zimmertür, und eine geknickte Prüfungsanwärterin nimmt leise fluchend am Tisch in der Küche Platz, wo der Vater und ich das Abendessen kochen. Erst hören wir nur so ein Grummeln, aus dem sich phonetisch Stück für Stück ein Fluch herausschält: Ich kann das nicht!, mault sie, das ist doch Scheiße!
Ja, klar ist das Scheiße. Aber wem nützt diese Weisheit jetzt, fünf Minuten vor der Angst? Seufzend schlägt der Vater mit der Pubertistin ein spätes Mathelerncamp auf, ich brate die Bouletten alleine fertig und liefere sie als Pausensnack ins Kinderzimmer. Gegen 23 Uhr verlassen zwei sichtlich derangierte Gestalten den Nebenraum – ab jetzt liegt die Prüfung der Pubertistin nur noch in Gottes Hand.
Am nächsten Morgen mache ich der Pubertistin ihre Senftoasts und lege ein extra gekauftes PäckchenTraubenzuckerbonbons dazu. Gute Reise, kleines Schlauchen, du schaffst das schon! Übellaunig wirft sie die guten Gaben in ihren Schulrucksack, und weg ist sie.
Eine Woche später ist die Zeugnisvergabe. Die rührige Elternsprecherin hat eine Gartenkneipe angemietet, da treffen wir uns alle zum Essen, Trinken, Feiern und Huldigen. Der sympathische Klassenlehrer hält eine kleine Rede, an den langen Tischen fläzen sich seine Schüler. Einige Mädchen haben ihre Freunde mitgebracht, mit denen sie auch während der Ansprache des Lehrers ein bisschen rumknutschen. Die Jungs der Klasse quatschen, ein Handy bimmelt die ganze Zeit, es ist schwierig, sich Gehör zu verschaffen. Das Ganze scheint für die Betroffenen eine eher nebensächliche Veranstaltung zu sein.
Nur wir Eltern sitzen mit gespitzten Ohren da. Viele von uns haben in den letzten Wochen mit ihren Kindern Debatten gehabt wie wir mit unserer Pubertistin. Wir wissen auch, dass einige vom Gymnasium abgehen werden, dass es Tränen gab in den Schulfluren und in der Raucherecke hinter dem Bahnhof. Fünf Mädchen, unter ihnen die Pubertistin, werdendas nächste Schuljahr im Ausland verbringen. Auch Lukas, Metas mobbender Albtraum, verlässt die Schule, sein Vater hat das Sorgerecht für ihn durchgesetzt, zur Feier ist keiner seiner Eltern gekommen. Aber von all diesen Brüchen ist an diesem Abend nichts zu spüren. Die mittleren Schulabschließer bekommen vom sympathischen Klassenlehrer ihre Zeugnisse, und jeder von ihnen gibt sich allergrößte Mühe, Pokerface zu machen.
Das Zeugnis der Pubertistin ist okay. In Mathe, man glaubt es kaum, hat sie dank der guten Prüfungsergebnisse sogar eine Zwei geschafft. Der Vater setzt sein schönstes Geburtstagsgesicht auf, er will jetzt mal richtig gelobt werden von seiner Tochter. Aber die, man hätte es sich denken können, wehrt seine Umarmungsbereitschaft mit ihrem altbekannten Satz ab: Hab’ ich doch gesagt, ich kann das alles. Dann geht sie rüber zu ihren Freunden.
So kennen wir sie. Krisen werden unmittelbar geteilt, Erfolge selbstbewusst für sich verbucht. So war das beim Fahrradfahren lernen, beim Schwimmen, beim Lesen. Warum sollte sich jetzt, nach zehn Jahren privater nervenzerfetzender Nachhilfe, daran irgendetwas ändern? Der Vater und ich bestellen uns zwei Schnäpse und stoßen auf unser Kind an. Gut hat sie das gemacht, und offenbar auch nicht schlecht haben wir das gemacht. Er bei der Nachhilfe, ich in den rückwärtigen Diensten.
Und da kommt sie ja doch noch an unseren Tisch geschlendert, unsere hoffnungsvolle Pubertistin. Keineswegs möchte sie mal danke sagen. Nein, sie ist hier, um uns zum Gehen zu bewegen: Bitte nicht falsch verstehen, aber wir möchten jetzt gern unter uns sein, sagt sie und fordert zwanzig Euro Wegzehrung.
Im Hintergrund sehen wir, wie sich der äußerst humorvolle Lukas gerade anschickt, Bier über Metas Zeugnis zu kippen. Es sind die letzten Stunden mit seinem Opfer, die will er nicht ungenutzt verstreichen lassen. Meta streicht sich das aschblonde Haar aus dem Gesicht, erhebt sich in ihrer ganzen Stattlichkeit von ihrem Platz, zieht Lukas das Bierglas weg und schüttet es ihm mit eleganter Handbewegung ins Gesicht. Fassungslose Stille, in die nur das einsame Handy hineinbimmelt. Das sieht nicht gut aus für Meta.
Die Pubertistin hat alles gesehen, jeder hat die Demütigung von Lukas gesehen. Jetzt gilt es. Wie auf ein lautloses Kommando nehmen alle
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