Die Pubertistin - eine Herausforderung
aus.
Es ist nämlich nicht so, dass uns diese Wandlung völlig unvorbereitet trifft. Die Pubertistin ist unser zweites Kind, wir haben also bereits eine erste Übungseinheit mit ihrer Schwester absolviert. Damals verlief die Pubertät schnell und heftig. Nach einem Vierteljahr war die Sache gegessen. Und so, davon gehen wir mal aus, wird es auch diesmal laufen.
Aber meine Hoffnung, hinter der verschlossenen Tür ein Mädchen vorzufinden, das seine Hausaufgaben verrichtet oder eine Kissenplatte bestickt, erfüllt sich nicht. Stattdessen plappert und plaudert es, dass es eine Freude ist. Was ist hier los?
Das Kind hat auf seiner Italienreise bekanntlich neue Freundinnen gefunden, und mit denen muss sie jetzt jeden Tag mehrere Stunden telefonieren. Sie heißen, soviel erfahre ich während einer kurzen Gesprächspause, Elektra und Yasmin, wohnen in einschlägigen Problemvierteln der nahen Hauptstadt und verfügen über die coolsten alleinerziehenden Mütter, die sich ein Mädchen nur denken kann.
Elektra und Yasmin dürfen nämlich am Wochenende gehen, wohin sie wollen. Nie machen ihre Mamas ihnen Vorschriften. Stattdessen versorgen ihre abwesenden Papas sie mit fürstlichen Taschengeldern, mit denen diese reizenden Kleinfrauen sich kaufen können, was immer der Einzelhandel hergibt. Die Pubertistin findet die Leben dieser beiden Zaubermädchen und ihre Familien so grandios, dass sie sich, scheint es, am liebsten adoptieren lassen würde.
Der Pubertistinnenvater und ich tauschen tiefe Blicke. Klar möchten wir, dass unsere Tochter Freundinnen findet. Auch das sehr überschaubare Stadtrandleben halten wir keineswegs für das beste aller Angebote für eine Fünfzehnjährige. Aber welche Auswirkungen wird die Freundschaft zu diesen beiden Supergirls auf unser bislang gepflegtes Erziehungskonzept haben? Die Antwort darauf lässt nicht lange auf sich warten.
Das Erste, was die Pubertistin fordert, ist unsere Monatskarte. Der Vater und ich haben eine gemeinsame, die wir uns je nach Bedarf für den Arbeitsweg teilen. Mit der Karte möchte das Kind (spätestens!) am Freitagnachmittag in die nahe Großstadt aufbrechen – sie ihr zu borgen stellt quasi ein Menschenrecht dar. Schließlich haben wir sie, die geborene Hauptstädterin, vor Jahren in dieses Kaff am Stadtrand, in dieses kleine öde Häuschen am Ende einer verkehrsberuhigten Sackgasse verschleppt.
Und wer bezahlt dann unsere Fahrkarte, fragen wir die Pubertistin, wir brauchen die doch selbst. Na ihr, sagt sie, ihr habt doch genug Geld. Wie wär’s denn, wenn du das Ticket von deinem Taschengeld bezahlst?Jetzt bricht die Pubertistin schier zusammen. Von meinem Taschengeld!?, jault sie, das ist doch längst alle. Ja und, sagen wir, du kannst eben nicht immer gleich alles ausgeben, wenn du weißt, dass du am Wochenende noch mit der S-Bahn fahren willst.
Die nächsten Stunden halten mürrisches Schweigen ihrerseits bereit. Längst reden wir beim Essen darüber, was dieser Tag gebracht hat und der nächste bereithalten mag – die Pubertistin schmollt zäh. Ihr seid ja selber schuld, will sie uns damit wohl bedeuten, was glaubt ihr, wie aus mir ein passabler Mitmensch werden soll, ganz ohne Monatskarte?
Am Ende gewinnt sie, sie kriegt das Kärtchen, und ein zufriedenes Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. Wir wollen ja auch, dass es ihr gut geht. Die ganze Woche macht sie, so Gott will, schön ihre Schule, da soll sie am Wochenende mal rauskommen und ihr soziales Netzwerk pflegen. Gute Reise, kleine Pubertistin! Aber um zehn bist du zu Hause.
Um zeeeeehn?!, läutet sie die nächste Krise ein. Das ist voll gemein, Elektra und Yasmin müssen erst um eins zu Hause sein. Das, antworte ich, mag sein, aberElektra und Yasmin sind nicht unsere Kinder, sondern du. Und du bist um zehn zu Hause. Was willst du überhaupt so lange auf der Straße? Chillen, sagt die kleine Überfliegerin. Dann chill halt bis zehn. Aber denk dran, dass Schienenersatzverkehr ist.
Es ist dies meine kleine, gemeine Rache für den verschmollten Tag, für die schlechte Laune, mit der sie uns stundenlang gepeinigt hat. Ich weiß: Wenn sie um zehn zu Hause sein will, muss sie von da, wo Großstädterinnen wie Elektra und Yasmin so ihre Bahnen ziehen, spätestens um neun aufbrechen. Unser Haus liegt zwar malerisch und pittoresk am Waldrand, aber diese Lage hat nun mal den Preis, dass es die eine oder andere Minute länger dauert, um hierher zu
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