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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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hat, ärgerlich zu sein, dachte der Abt verdrießlich, dann bin ich es. Wo käme ich hin, wenn ich mich um jede kleine Unstimmigkeit zwischen Schülern und Lehrern kümmern müßte?
    »Wenn Richard gelernt hat, was er lernen soll«, sagte er ein wenig müde, »dann sehe ich nicht, wo die Schwierigkeit liegt.«
    Die Röte auf Bruder Ludwigs Wangen vertiefte sich noch weiter, was bei seiner sonstigen Blässe und dem korpulenten Körperbau äußerst unvorteilhaft wirkte.
    »Er widerspricht mir«, sagte er hastig, »und das auf die abscheulichste und ketzerischste Weise. Das schadet meinem Ansehen bei den übrigen Schülern, ganz abgesehen davon, daß es sie zum Lachen bringt, wenn …«
    Er verstummte. Richard vollendete unbekümmert: »Wenn Bruder Ludwig glaubt, ich hätte nicht auf seine langweiligen Lektionen geachtet, weil ich gezeichnet habe, und mich deswegen aufruft.« Er hielt ein wenig inne, dann fuhr er mit genügendem Respekt fort, um jeden zu täuschen, der nicht so erfahren war wie der Abt: »Ehrwürdiger Vater, ich liebe die Wissenschaften und schätze Bruder Ludwigs Unterricht, doch was soll ich machen? Wenn ich schweige, denkt er, ich sei unaufmerksam, und wenn ich also spreche und etwas zu dem sage, was er vorträgt, ist er auch unzufrieden. Ich möchte ein gehorsamer Schüler sein, aber wie?«
    Der Abt bemerkte den Unterton von Ironie sehr wohl, anders als Bruder Ludwig, der durch diese zerknirscht wirkende Rede ein wenig besänftigt schien.
    »Es sind nur deine ketzerischen Ansichten, Richard«, sagte er kompromißbereit. »Es ziemt sich einfach nicht, zu behaupten, die Kreuzritter seien manchmal wahre Schlächter gewesen, oder die Erde könne unmöglich flach sein. So etwas ist unchristlich und …«
    »Aber Bruder Ludwig«, rief Richard, plötzlich wieder ohne jede Demut, »schon der berühmte Venezianer Marco Polo hat behauptet, daß die Erde gekrümmt sein müsse, Bruder Andreas hat davon erzählt. Und die Araber sind sich sogar ganz sicher, daß es so ist. Und es ist eine Tatsache, daß bei der Eroberung von Jerusalem die gesamte Bevölkerung niedergemetzelt wurde.«
    Ludwig entgegnete unwillig: »Die Araber sind Heiden, und die Bevölkerung von Jerusalem bestand aus Arabern und Juden, also …«
    »Aber Bruder Ludwig«, sagte der Abt tadelnd, »Ihr werdet Euch doch nicht mit einem Kind streiten, noch dazu mit einem Eurer Schüler?«
    Er fragte sich langsam, ob Bruder Ludwig überhaupt schon geeignet war, Jungen in diesem Alter zu unterrichten. Am besten, man machte dieser Szene ein Ende, bevor der Mönch noch mehr von seiner Autorität verlor. Der Abt wandte stirnrunzelnd seine Aufmerksamkeit Richard zu.
    »Du kannst gehen, Richard«, sagte er, doch bevor sich ein Lächeln auf Richards Gesicht breitmachen konnte, fügte er hinzu, »doch wenn mir noch einmal zu Ohren kommt, daß du Bruder Ludwig gegenüber nicht gehorsam bist, bleibst du die nächsten Monate Samstag und Sonntag hier. Nun verschwinde schon.«
    Richard kniete hastig nieder, um den Ring des Abtes zu küssen, und eilte davon. Der Abt schaute ihm nach und schüttelte den Kopf.
    »Frater«, sagte er, »was habt Ihr Euch nur dabei gedacht?«
    Bruder Ludwig fühlte das dringende Bedürfnis, sich zu rechtfertigen. Er gestand sich ein, daß er gleich ohne den Jungen hierher hätte kommen sollen.
    »Ehrwürdiger Abt«, stieß er hervor, »dieses Kind ist mir einfach unheimlich. Ich könnte schwören, daß er mir nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkt, und dennoch muß man ihm nie etwas wiederholen. Es ist, als begriffe er alles beim ersten Mal. Wie soll man so einen Schüler behandeln? Und dann diese ketzerische Redeweise …«
    »Ja«, entgegnete der Abt abwesend, »jeder sagt mir, daß er ein hervorragendes Gedächtnis hat, besonders für Sprachen. Aber, Bruder«, er richtete die Augen wieder auf Ludwig, »wenn seine Argumente ketzerisch sind, so müßt Ihr ihn belehren, wie es einem Lehrer zukommt. Was Ihr eben getan habt, war einen Streit mit ihm anzufangen, als sei er in Eurem Alter! Das untergräbt die Disziplin!«
    Sie schwiegen beide. »Richard kann schwierig sein«, murmelte der Abt schließlich, »gerade wegen seiner Begabung. Doch das hängt natürlich damit zusammen, daß seine Mutter eine Sarazenin ist.«
    Ludwig verschluckte sich und mußte husten. »Seine Mutter«, ächzte er, als er wieder zu Atem kam, »ist eine Heidin?«
    »Eine Bekehrte«, antwortete der Abt hastig. »Sie versteht mit Kräutern umzugehen und gilt als

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