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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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stützte.
    Auf dem Weg über den Ponte Vecchio wurden sie von der Prozession mitgerissen. Die Menschen strömten aus allen Richtungen auf die Piazza della Signoria, Savonarolas Knabenarmee mitten unter ihnen, die mit Olivenzweigen in der Hand lauthals den Gesang anstimmte, in den die Menge bald einfiel: »Lang lebe Christus, der König von Florenz! Lang lebe Maria, die Königin!«
    Auf der Piazza bildeten die Dominikaner von San Marco eine Kette um die riesige Pyramide, die man in der Mitte errichtet hatte. Richard erkannte Spiegel, Schminktöpfe, Ballen von Seide neben Schmuck aller Art, gefolgt von Würfelspielen, Schachbrettern, Schachfiguren, die von den Menschen selbst jetzt noch auf den Scheiterhaufen geworfen wurden.
    Doch am schnellsten würden die Bücher Feuer fangen, Hunderte von Büchern, Zeichnungen, Ölbildern, Holzfiguren und Statuen, die klein genug waren, damit sie die Weißhemdengel hatten herbeischleppen können. Er sah, wie die sonst so gelassenen Florentiner Kaufleute ihre kostbarsten Güter auf den Scheiterhaufen warfen, sah, wie das glänzende Holz von Masken, Kostümen und Instrumenten zersplitterte und sich zu den übrigen ›Eitelkeiten‹ gesellte. Mit Entsetzen erkannte er den Maler Botticelli, früher einer von Lorenzo de'Medicis engsten Freunden, der unter den Jubelrufen der Menge Zeichnung um Zeichnung auf die Pyramide warf, gefolgt von anderen, weniger bekannten Florentiner Malern.
    Wie auf ein Zeichen hin hoben die Mönche die Arme nun zum Himmel. Savonarola löste sich aus ihrem Kreis und nahm von einem seiner Weißhemden eine lodernde Fackel entgegen. Den Arm mit der Fackel hochgereckt, den anderen zur Menge ausgestreckt, rief er: »Lang lebe Christus! Lang lebe die Jungfrau!« Das Volk gab ihm den Ausruf tausendfach verstärkt wieder zurück: »Lang lebe Christus! Lang lebe die Jungfrau!«
    Savonarola verharrte noch einen Moment in seiner Haltung, dann bückte er sich und begann, rund um den Scheiterhaufen Feuer zu legen. Richard hörte Saviya neben sich ruhig sagen: »Er entzündet seinen eigenen Tod.«
    Impulsiv preßte er sie enger an sich, ein Symbol des Lebens, während nahezu alles, was ihm Florenz zu einem Traum gemacht hatte, in Asche versank. Doch seltsamerweise waren es nicht nur Trauer und Entsetzen, die ihn erfüllten, und ganz gewiß keine Haßgefühle gegen Savonarola. Er wußte nun, er war frei. Frei, um zu gehen, wohin er wollte. An Italien band ihn nichts mehr. Jakob und die Familie würden immer einen Anspruch auf ihn haben, doch er würde einen Weg finden, diesem Anspruch gerecht zu werden, ohne sich davon sein Leben bestimmen zu lassen. Es gab noch so vieles in dieser Welt, das auf ihn wartete. Er verstärkte seinen Griff um Saviyas Taille, drehte dem Feuer den Rücken zu und sagte zu ihr: »Gehen wir.«

Schlußbemerkung
    Richard Artzt ist meine eigene Erfindung; Sybille Fugger hatte keinen Neffen dieses Namens. Außerdem ließ ich die meisten Ereignisse um die Familie Fugger und König Maximilian (er wurde 1493, in dem Jahr, in dem ich meinen Roman enden lasse, nach dem Tod seines Vaters, der erste nicht in Rom gekrönte Kaiser) etwa fünf bis zehn Jahre früher stattfinden, als sie sich tatsächlich ereignet haben, um sie in Verbindung mit dem Beginn der Hexenverfolgung und dem Geschehen in Italien bringen zu können.
    Die Hexenverfolgungen, die im Gegensatz zur allgemeinen Meinung kein Phänomen des Mittelalters, sondern eines der beginnenden Neuzeit waren, finden sich am besten in den Dokumenten dieser Zeit geschildert, vor allem im ›Malleus Maleficarum‹, besser bekannt als ›Der Hexenhammer‹ von Jakob Sprenger und Heinrich Institoris (der übrigens wirklich wegen Fälschung und Unterschlagung von Ablaßgeldern belangt wurde). Ein Gegengewicht zum ›Hexenhammer‹ bildet Friedrich von Spees ›Cautio Criminalis‹, jene berühmte Schrift gegen die Hexenprozesse, die etwas mehr als hundert Jahre später entstand.
    Der Thronstreit um Neapel, die französische Invasion und der Sturz der Medici fanden nicht innerhalb von einem, sondern von zwei Jahren statt, 1493 und 1494; und Savonarolas berühmter ›Scheiterhaufen der Eitelkeiten‹, der sichtbare Höhepunkt seiner Macht in Florenz, wurde erst 1497 errichtet, ein Jahr bevor Savonarola selbst auf der gleichen Piazza verbrannt wurde.

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