Die Puppenspieler
die beste Hebamme und Heilerin hier in Wandlingen. Manche sagen sogar offen, sie gingen lieber zu ihr als zu einem Bader oder zu einem Medicus. Da sie hier lebt, hat Richard die Erlaubnis, sie regelmäßig zu besuchen. Eine erstaunliche Frau, aber wie ich schon sagte, eine Bekehrte, und bei diesen Bekehrten weiß man nie, ob sie nicht manchmal, gewiß ohne Absicht, in ihren früheren Irrglauben zurückfallen oder Kleinigkeiten von ihm übernehmen. Ich wollte schon längst einmal jemanden zu ihr schicken, um die Stärke ihres Glaubens zu prüfen.«
Bruder Ludwig sah nachdenklich aus. »Mit Eurer Erlaubnis werde ich vielleicht auch allen zukünftigen Schwierigkeiten mit Richard aus dem Weg gehen können.«
Der Abt lächelte zufrieden. Eben dies hatte er beabsichtigt. Jeder rühmte ihm Richard als einen der ungewöhnlichsten Schüler, den das Kloster je gehabt hatte, und er hoffte, ihn für den Orden gewinnen zu können. Huldvoll streckte er die Hand zum Kuß aus, verabschiedete den Bruder und wandte sich dann wieder der Bulle zu, die er demnächst im Kloster vorlesen lassen mußte.
»… die Personen selbst, nachdem sie in obigem für schuldig befunden … nach ihrem Verbrechen zu strafen … an Leib und an Vermögen zu strafen … Gegeben in Rom zu St. Peter, im Jahr der Menschwerdung des Herrn 1484 … im ersten Jahr unserer päpstlichen Regierung.«
Die Sonnenstrahlen tanzten über das Blatt, während der Abt sich mit zusammengezogenen Brauen daranmachte, die Bulle des Papstes noch einmal von vorne zu lesen.
Das kleine Haus, in dem Zobeida Artzt und ihr Sohn Richard wohnten, lag nahe der Stadtmauer, in einer nicht sehr vorteilhaften Gegend, da viele Wandlinger ihren Abfall in dieser Umgebung liegen ließen. Doch eine andere Möglichkeit hatte es für Zobeida, die immer noch mit Mißtrauen betrachtete Fremde, nach dem Tod ihres Gemahls nicht gegeben. Daß man ihr überhaupt gestattete, innerhalb der Stadtmauern zu leben, lag nur an ihrem überragenden Können als Hebamme, mit dem sie sich auch mit der Zeit eine geachtete Position in der Gemeinde verschafft hatte. Mittlerweile hätte sie wahrscheinlich ein besser gelegenes Haus erwerben können, vielleicht sogar wieder den großen Kaufmannshof, in dem sie mit Markus Artzt gelebt hatte, doch Zobeida hielt an ihrem Heim unter den ärmeren Bürgern Wandlingens fest, aus purem Eigensinn und Stolz, wie viele meinten.
Richard war froh darüber. Als er an diesem Freitag spätnachmittags nach Hause kam, blieb er einen Augenblick auf der Schwelle stehen, denn seine Augen mußten sich erst an das Dämmerlicht im Inneren gewöhnen. Er atmete tief ein. Es roch vertraut nach Gewürzen, nach Wärme, nach Kräutern, Düfte, die er immer mit seiner Mutter in Verbindung bringen würde. Sie war nicht da, doch sie hatte ihm die Nachricht hinterlassen, sie sei von Emmerich Kühn geholt worden, weil seine Frau in den Wehen lag.
Richard liebte dieses Haus, und jedesmal, wenn er eine Woche Klosterleben hinter sich hatte, wanderte er hier ein wenig ziellos umher, nur um alle vertrauten Gegenstände wieder zu begrüßen, die so sehr von der Kargheit des Klosters abstachen. Sein Vater, Markus Artzt, war ein erfolgreicher Kaufmann gewesen, und überall standen Dinge, die er von seinen Reisen mitgebracht hatte – bunte, edle Stoffe, von denen seine Mutter einige zu Kissen verarbeitet hatte, die sie der Sitte ihres Volkes gemäß auf dem Boden ausbreitete; andere Stoffballen jedoch behielt sie nur, um sich an ihrer Schönheit zu erfreuen.
Da gab es ein Schachbrett aus Persien mit feingeschnitzten Elfenbeinfiguren, die sogar von einem noch ferneren Land, dem legendären Cathay, stammen sollten. Richard kannte nicht viele Gegenstände, die aus Elfenbein waren, eigentlich überhaupt keine, außer den Figuren und einer Schnitzerei im Kloster, die eine Reliquie umschloß, und er strich liebkosend über ihre warme, glatte Oberfläche. Richard wünschte, er könnte sie benützen, doch seine Mutter beherrschte dieses Spiel nicht, und sonst gab es niemanden in Wandlingen, der es ihm hätte beibringen können.
Neben dem Schachspiel galt seine Liebe den weichen Teppichen mit ihren verschlungenen Mustern, die jedoch, wie seine Mutter ihm erklärt hatte, niemals etwas Bestimmtes abbilden durften, denn der Koran verbot jede bildliche Darstellung. Einer der Punkte, dachte Richard, wo das Christentum vernünftiger ist. Die Gemme mit dem Profil einer Frau, kunstvoll aus einem Halbedelstein geschnitten,
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