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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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bedenklichen Zeitpunkt verlassen? Deshalb schickte er einen Söldner zur Grützenmühle. Barsch meldete dieser Christ: »Der Presbyter Eusebios wünscht dich zu sehen. Sofort.«
    Das hörte sich nicht sehr verheißungsvoll an. Aber Rabbi Ascher, zur Versöhnlichkeit bereit, bürstete den Staub aus seinen Kleidern und folgte dem Söldner. Ein kleiner alter Mann, mit einem langen weißen Bart, stand er vor dem Spanier, der lächelnd und mit freundlicher Stimme sagte: »Ich hörte heute morgen, Ihr wollt nach Tiberias?« Er gebrauchte die Bezeichnung aus der Zeit des Herodes Antipas. »Ob das wohl klug ist?«
    Die Frage überraschte den kleinen Grützenmacher, denn niemand hatte ein Recht, ihm Vorschriften zu machen. Geduldig erklärte er: »In Twerija finden Erörterungen statt, die meine Aufmerksamkeit erfordern.«
    »In Makor finden Tumulte statt, die nicht minder Eure Aufmerksamkeit erfordern.«
    »Meine vordringliche Aufgabe aber.«
    »Ist hierzubleiben!« sagte Eusebios ruhig und setzte beschwörend hinzu: »Rabbi Ascher, unserer Stadt droht ernste Gefahr. Vorgestern abend erhielt ich Nachricht aus Kapernaum. Dort ist es zum Aufruhr gekommen; man hat ihn niedergeschlagen, mit unerbittlicher Härte, glaubt mir. Als von den Juden hier das Haus des Steuereinziehers in Brand gesteckt wurde, hätte ich mit doppelter Härte antworten können. Aber ich habe mich beherrscht.«
    »Ich weiß.«
    »Ihr Juden müßt euch mit der Tatsache abfinden, daß das Reich von nun an christlich ist. Unser Glaube allein ist maßgebend. Ist Euch bekannt, daß ich Eure Synagoge morgen einreißen lassen könnte, wenn ich wollte? Man hat mir in Konstantinopel die Vollmacht dazu erteilt.« Und in ganz anderem Ton und mit ehrlicher Zuneigung sagte Eusebios: »Doch im Heiligen Land leben viele Juden, und ich möchte in Eintracht mit ihnen leben.«
    »Ich habe dafür gesorgt, daß es keine Unruhen mehr gibt. Nun aber muß ich nach Twerija.«
    »Rabbi!« sagte der Spanier, und eine furchtbare Angst klang aus seinen Worten. »Ihr scheint nicht zu verstehen. Vergangene Nacht sind in Tiberias bei Zusammenstößen sechs Menschen getötet worden. Die Germanen marschieren bereits. Die Lage ist sehr ernst. Ich muß Euch deshalb befehlen, hierzubleiben.« Der Rabbi nickte, nahm die Anweisung ohne Widerrede zur Kenntnis, empfahl sich dem christlichen Priester - und entschied sich dafür, daß es um so mehr seine Pflicht sei, nach Twerija zu eilen, wenn es dort wirklich zu Unruhen gekommen war. Als er jedoch die Stadt verlassen wollte, versperrten ihm Söldner den Weg. »Der Presbyter Eusebios verbietet dir, die Stadt zu verlassen«, sagten sie und nahmen ihm sein Maultier weg. Auf diese Weise kam Rabbi Ascher zu der Erkenntnis, daß neben der geistlichen nun auch die weltliche Herrschaft über Palästina in den Händen des Priesters lag. Noch in der Nacht legten junge Juden -ermuntert durch die Nachricht von den Rebellionen in Kefar Nachum und Twerija wie auch dadurch, daß Eusebios, offenbar doch nicht stark genug, nach der letzten Brandstiftung nichts unternommen hatte - Feuer an eine Futterscheune. Es kam zum Kampf, ein byzantinischer Söldner wurde getötet. Aber immer noch hielt der Priester seine Bewaffneten zurück, in der Hoffnung, eine kriegerische Auseinandersetzung verhindern zu können.
    Während jener spannungsreichen Tage lebten sich Johannes und Markos in ihr neues Dasein als Christen ein. Der Vater verhielt sich, wie vorherzusehen gewesen war: Er schmiegte sich in die Arme seines neuen Glaubens wie ein müdes altes Tier, das sein Ende nahen spürt und nur noch Wärme und Schutz sucht. Wenn der Priester die Baustelle besichtigte, folgte ihm Johannes auf Schritt und Tritt. Er arbeitete härter denn je, ging regelmäßig zur Messe in die bescheidene kleine syrische Kirche und dachte sich aus, wie er die Basilika, sobald erst einmal die Mauern standen, verschönern konnte. Gerade diese Gedanken bewegten ihn besonders - hatte er doch inzwischen die Erfahrung gemacht, daß, für ihn ganz unerwartet, auch hinsichtlich seiner Arbeit eine wesentliche Änderung eingetreten war. Während des Baus der Synagoge hatte er stets damit rechnen müssen, daß vieles von dem, was er zu ihrer Ausschmückung beabsichtigte, nicht den Vorschriften des jüdischen Glaubens und den Wünschen des Rabbi Ascher entsprach. Ganz anders hingegen der Presbyter Eusebios: Die christliche Kirche legte offensichtlich großen Wert darauf, der Frömmigkeit auch künstlerischen

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