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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Jochanan antraf. Der kleine Rabbi packte den Steinmetz bei der Schulter, drehte ihn zu sich herum und fragte: »Du bist fort von der Synagoge?«
    »Ich arbeite jetzt hier.«
    »Den Glauben unserer Väter meine ich.«
    »Am Freitag werde ich getauft.«
    »Nein!«
    »Und Menachem mit mir!«
    »Das darf nicht sein!«
    Der Steinmetz stieß die Hand des Rabbi fort und sagte grollend: »Die Synagoge hatte keinen Platz für ihn. Die Kirche hat es.«
    »Du bist ins Judentum hineingeboren und hast auf immer in ihm zu bleiben.«
    »Nicht, wenn es meinen Sohn ausschließt.«
    »Aber wir haben uns doch überlegt, wie wir ihn retten.«
    »Fünf Jahre lang Sklave?« Jochanan sah den Rabbi geringschätzig an und schob ihn beiseite.
    »Uns alle rettet allein das Gesetz.«
    »Mit einem solchen Gesetz habe ich nichts mehr zu tun«, sagte Jochanan, wandte sich ab und nahm seine Arbeit wieder auf.
    Diesmal rührte Rabbi Ascher den riesigen Mann nicht an, sondern lief - lächerlich genug anzusehen - im Bogen um ihn hin und her, um ihm immer wieder ins Angesicht blicken zu können, und rief mit lauter Stimme: »Du kannst dem Gesetz nicht entrinnen. Stets wirst du ein Mann der Synagoge bleiben.« Ein Mann der Synagoge? Das Wort übte eine sonderbare Wirkung auf den Steinmetz aus. Breit und wuchtig stand er zwischen den Trümmern der abgerissenen Häuser und starrte hinüber zur nahen Synagoge, die er mit solcher Hingabe gebaut hatte. Er sah die Steine, die er in den Bergen Galilaeas gebrochen, sah die Mauern, die er Schicht um Schicht aufgeführt hatte, sah den Bau, der das Herz jedes Baumeisters mit Stolz erfüllt hätte, denn in seiner klaren, harten Gestaltung zeugte er für einen Mann, der Gott auf seine eigene, starrköpfige Weise verehrte. Mochte Jochanan auch solches nicht denken - der Sturm der Gefühle, der über ihn kam, war zu stark für diesen einfältigen Mann. Mit seinen mächtigen Pranken bedeckte er sein Gesicht. Rabbi Ascher, der verstand, was den Steinmetz bewegte, trat zu ihm, aber der wehrte mit der Faust den Alten ab und schrie: »Du hast mir befohlen, ich solle ihn legen. den Fußboden da. Wie viele Stücke haben wir des Nachts geschnitten! Das Goldglas. Menachem hat es bezahlt, von seinem eigenen Verdienst. Nein, du hattest nicht genug Geld. Und diese Wände.« Er rannte zur Synagoge und hieb gegen die Quadern; wie schön waren sie, Stücke aus dem Herzen Galilaeas. Kraftlos fiel Jochanan in die Knie. »Soll ich diese Synagoge gebaut haben, damit in ihr kein Platz für mein eigen Fleisch und Blut ist?« murmelte er und schlug mit dem Kopf gegen die Steine, als habe er in seiner Verwirrung vor, sich den Schädel einzurennen. Rabbi Ascher wollte ihm gut zureden, wollte ihm sagen, daß das Gesetz bei aller Härte auch milde sein könne. Aber Jochanan brüllte: »Willst du, daß ich ewig in der Sünde lebe?«, packte einen Stein und hätte seinen Rabbi erschlagen, wäre nicht Eusebios dazwischengetreten. Ohne sein Zutun war er Zeuge dieser Qual geworden, die, er wußte es, viele Neubekehrte kurz vor der Taufe heimsuchte. Ohne ein Wort zu sagen, führte er den an allen Gliedern zitternden Handwerker hinweg. Am Abend dieses Tages gab Rabbi Ascher seinem Schwiegersohn Abraham und Schemuel dem Bäcker Weisung, Menachem zu holen, nicht aber dessen Vater. Als der junge Mann vor seinem Richter stand, fragte ihn der Grützenmacher, der zugleich ein Gottesmann war: »Ist es wahr, daß du zu den Christen übertrittst?«
    »Ja.« Laß ihn schreien, dachte Menachem, laß ihn schreien, so viel er will. Es ist heute abend das allerletzte Mal, daß er mir etwas zu sagen hat. Doch Rabbi Ascher fragte ruhig: »Woher nimmst du den Mut, dem Glauben deiner Väter untreu zu werden?«
    »Ihr habt mir keine andere Wahl gelassen.«
    »Vermagst du nicht einzusehen, daß es der Heilige, gelobt sei Er!, ist, der dich straft?«
    »Wollt Ihr mir immer noch raten, etwas im Wert von zehn Drachmen zu stehlen und mich versklaven zu lassen?«
    »So lautet das Gesetz, und durch das Gesetz erlangen wir das Heil.«
    »Es gibt jetzt ein einfacheres Mittel.«
    »Indem du den Allmächtigen verleugnest, Der uns zu Seinem Volk erwählt hat?«
    Menachem lachte. »Daran glaubt doch niemand mehr. Weder mein Vater noch ich noch sonst einer von denen dort draußen.«
    »So bist du ein Gottesleugner?«
    »Nein. Aber ich habe einen viel milderen Gott kennengelernt«, antwortete Menachem und dachte: Wider meinen Willen ist es nun doch zu einer Auseinandersetzung mit

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