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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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er seine Wohnung verließ, wegen eines Vorhabens, vor dem ihm eigentlich bangte, war er ein sehr anderer Mensch als der Jochanan, der sich ein Vierteljahrhundert zuvor mit Rabbi Ascher gestritten hatte. Er war zwar noch immer ein Riesenkerl, klobig, mächtig die Schultern und wuchtiger als die meisten anderen Männer, aber sein wildes, dickköpfiges Draufgängertum war verschwunden. Die Niederlagen, die er hatte einstecken müssen, waren nicht ohne Folgen geblieben. Er wußte nun, daß man nicht alles erzwingen kann. In diesem Sinne hatte auch die friedliche, schöpferische Arbeit an der Synagoge auf ihn eingewirkt. Das Gesicht des Mannes, der jetzt durch den kühlen Abend schritt, war von einer gewissen felshaften Schönheit, es zeigte die narbig zerklüftete Würde eines Steinbruchs, dessen deckende Erdschicht abgetragen ist, so daß nun das reine Gestein freiliegt. Und doch schwitzte er wie ein ängstlicher Schuljunge, als er den Weg zum Weinhändler einschlug, dessen Ausschank der alten Kirche gegenüberlag. Mit Unbehagen trat er ein, und ihm wurde auch nicht wohler, als der Grieche ihm einen Willkommenstrunk reichte. Erst nachdem er ihn hinuntergespült hatte, sagte Johannes: »Gregorios, ich bin gekommen, dich um die Hand deiner Tochter zu bitten. Für meinen Sohn Markos.« Und ehe der Grieche ihn unterbrechen konnte, fügte er schnell hinzu: »Er hat ein gutes Auskommen. Ich habe einen Beutel voll Drachmen. Ich werd’ ihm ein Haus bauen. Er ist ein braver Junge, Gregorios.«
    Die Antwort kam auf der Stelle. Sie lautete einfach: »Ich werde Maria niemals einen Juden heiraten lassen.«
    »Aber er ist doch jetzt Christ.«
    »Ja, ein jüdischer Christ.« Und damit war das Gespräch beendet. Die Worte kränkten Johannes tiefer, als er selbst es hätte sagen können, aber er tat nicht, was er sonst getan hatte. Er wütete nicht, und er drohte auch nicht, die Angelegenheit selbst zu regeln, nach seinem Willen. Verschreckt und stumm schlich er sich nach Hause, legte die guten Kleider ab und starrte die Wand an. An den folgenden Abenden wusch er sich wieder, reinigte die Nägel und kämmte sich. Und jeden Abend suchte er eine christliche Familie mit heiratsfähigen Töchtern auf. Jedesmal wurde er als gern gesehener Gast behandelt, man bot ihm Wein an, erwies ihm die Höflichkeiten, wie sie in einer kleinen Stadt wie Makor üblich waren, und jedesmal lehnte man seinen Antrag ab - mit derselben Begründung: Markos sei Jude.
    Nachdem er diese Demütigung viermal hatte hinnehmen müssen, packte er seine guten Kleider weg. Mit unsicherer Stimme redete er vor sich hin: »Ich denke, ich geh’ mit dem Jungen nach Antiochia. Dort bauen sie immer. Dort findet sich leicht eine Stelle für ihn und eine Frau.« Er hielt inne, kauerte sich in eine Ecke, verbarg das Gesicht in den Händen -ein Mensch, hilflos wie ein waidwund geschossenes Tier. Denn es war ihm bewußt, daß er niemals mehr von Makor loskommen konnte. Diese Basilika hielt ihn jetzt schon ebenso fest, wie es einst die Synagoge getan hatte. Denn wenn ein
    Mann einen Ort zu Ehren Gottes baut, mauert er sein Herz und sich selbst mit ein.
    Markos hörte gerüchtweise von dem, was sein Vater für ihn unternommen hatte, kümmerte sich aber nicht sonderlich darum, denn er war auf weitere Fragen bei seinen Gesprächen mit den Christen gestoßen - Fragen, die vielleicht weniger Anlaß zu Streit boten, für ihn aber um so wichtiger wurden. Das war es, was Markos erfuhr: In dieser Frühzeit des Christentums, in der es mit seiner Umwelt um seine Existenz rang und zugleich mit seinen Gläubigen im Bemühen um die wahre, bleibende Lehre, ließ sich eine Gruppe Übereifriger von den Briefen des heiligen Paulus leiten, in denen er für die wahrhaft Frommen die Grundsätze der Armut und der Ehelosigkeit gepredigt hatte. Diese Männer - Hunderte zunächst und später Tausende - gelobten Armut und Keuschheit; einige, so der große Origenes von Caesarea (dem das Christentum eine grundlegende Ausgabe des Alten Testaments in Hebräisch und Griechisch verdankte, insbesondere aber eine Vielzahl von Kommentaren und Predigten zur Ausdeutung der Heiligen Schrift), gingen noch weiter, indem sie ein Wort Christi allzu wörtlich nahmen: »Denn es sind etliche verschnitten, die sind aus Mutterleibe also geboren; und sind etliche verschnitten, die von Menschen verschnitten sind; und sind etliche verschnitten, die sich selbst verschnitten haben. Wer es fassen kann, der fasse es!« Auf Grund dieser

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