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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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gerettet. Als er meinte, diese Lehre völlig begriffen zu haben, sprach er mit Eusebios darüber. »Habe ich recht, wenn ich glaube, daß Christus zuerst ein Mensch war und nun ein Gott ist?« fragte er. Der Spanier lächelte, die Falten in seinen Wangen vertieften sich zu warmen Schatten, und voller Mitgefühl sagte er: »Mein Sohn, das sind schwierige Fragen, die einen einfachen Menschen nichts angehen.«
    »Was aber glaubt Ihr?«
    Eusebios wollte eigentlich das schwierige Thema fallenlassen. Aber da er spürte, wie ernsthaft Markos sich mit diesen Fragen beschäftigte, hielt er es doch für richtiger, dem jungen Bekehrten einiges über die Lehre der Kirche zu sagen. Was er ihm auseinandersetzte, sollte für Markos von unvergänglicher Bedeutung werden. »Die Ägypter irren ebenso wie die Byzantiner.«
    »Was soll ich dann aber glauben?«
    »Immer das, was die heilige Kirche entschieden hat«, antwortete Eusebios. »Diese Entscheidungen sind manchmal schwer zu verstehen. Aber sie sind immer richtig.« Und er sprach lange zu Markos über das Geheimnis der Dreifaltigkeit und erklärte ihm, wieso Christus zweierlei Wesensart besitze: Auf Erden sei Er als ein wahrer Mensch gewandelt, von Ewigkeit her aber sei Er auch wahrer Gott und Gott gleich.
    Doch an einem der nächsten Abende nahmen die ägyptischen Handwerker Markos beiseite und flüsterten: »Du bist Neuling in unserem Glauben. Gib acht, daß du nicht von Anfang an zu falschen Auffassungen kommst. Du bist ein einfacher, ehrlicher Mann, und deine Vernunft muß dir doch sagen, daß Christus nicht gleichzeitig zweierlei Wesensart besessen haben kann. Er hatte nur Eine, war zugleich Mensch und Gott. Er war nie zweierlei und kann nie zweierlei sein. Und da Er als Gott geboren wurde, muß Maria die Mutter Gottes sein.«
    »Ich kann dir nicht folgen«, sagte Markos.
    »Christus war beständig Eines Wesens, ein Mensch wie du und ein Gott wie der himmlische Vater«, verkündeten die
    Ägypter. Aber als sie fortgingen, war Markos nur noch verwirrter als zuvor.
    Tags darauf erhielt er abermals einen Beweis dafür, wie tief die Kluft war. Der Byzantiner, der seinen Speer auf den Ägypter geschleudert hatte, war es anscheinend noch nicht zufrieden, beinahe zum Mörder geworden zu sein. Denn während der Arbeit - immer noch wurden Judenhäuser abgebrochen - bemerkte der großmäulige Söldner, der sich so sehr für theologische Streitfragen erhitzte, ganz nebenhin: »Ich wollte, die Ägypter, die immer behaupten, Christus ist als Gott geboren, könnten mir eines erklären: Ob ihnen wirklich das Bild eines Gottes gefällt, der von einer Frauenbrust gesäugt wird?«
    Er hatte seine Lästerworte noch kaum zu Ende gesprochen, als ihn auch schon ein Stein traf, den ein Ägypter geworfen hatte. Der Söldner stürzte zu Boden. Weitere Steine, geschleudert von den Anhängern der Gottesmutter Maria, prasselten auf den, der sie geschmäht hatte. Als endlich Eusebios erschien, war der Byzantiner bereits tot, und die Ägypter jubelten: »Maria, Mutter Gottes! Maria, Mutter Gottes!«
    Der Priester ließ die Arbeit für die Dauer von zwei Tagen einstellen und gab sich während dieser Zeit alle Mühe, den Glaubensstreitigkeiten ein Ende zu machen. Dabei hatte Markos reichlich Gelegenheit zu beobachten, wie jede Partei sich weigerte, auf die Gründe der anderen einzugehen, und so bekam er einen Vorgeschmack all der schweren Auseinandersetzungen, die in künftiger Zeit zu den Spaltungen der jetzt noch jungen Kirche führen sollten. Auch nachdem man sich widerwillig bereit erklärt hatte, von nun an Frieden zu halten, kamen immer wieder Anhänger der einen oder der anderen Partei zu Markos und tuschelten: »Schließ dich uns an. Du siehst doch ein, daß es sich mit Christus verhalten muß, wie wir es sagen.« Der Eingottglaube, in dem er als Jude aufgewachsen war, gab schließlich den Ausschlag: Er schloß sich denen aus Konstantinopel an. Denn trotz allem, was ihm der Priester Eusebios so scheinbar einleuchtend gesagt hatte, hielt er es für unmöglich zu glauben, daß Jesus Christus gleichzeitig Mensch und gottgleich gewesen sei.
    Während Markos sich so zum erstenmal in theologische Spekulationen vertiefte, grübelte sein Vater über eine Frage, die mehr als alles andere den Anlaß zu seinem Übertritt gegeben hatte. Eines Abends war Johannes soweit. Nach der Arbeit wusch er sich sorgfältig, reinigte seine Fingernägel, zog seine besten Kleider an und kämmte sein grau werdendes Haar. Als

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