Die Quelle
bereisen.
»Wo sind wir jetzt?« Seine Frau trat aus der kleinen Salonecke neben ihn.
»Nordöstlich von Rügen. Sozusagen auf hoher See.«
Er beugte sich zu Francesca, die einen Kopf kleiner war als er, und gab ihr einen Kuss.
»Es war wunderschön«, sagte er sanft, und der Blick seiner blauen Augen huschte forschend über ihr Gesicht. In der letzten Stunde hatte der Autopilot die Jacht gesteuert.
»Da sind wir aber schon eine ganze Weile. Du kratzt«, knurrte Francesca mit gekünstelt strenger Stimme. »Und du wirkst angespannt. Wo sind deine kleinen Lachfalten? Mit denen gefällst du mir deutlich besser.«
Benn strich sich mit der Hand übers Gesicht, spürte selbst die Stoppeln, konzentrierte sich aber gleich wieder auf das Boot. »Ich bin gleich durch mit dem Check. Mit der Überholung verdiene ich schließlich das Geld für unsere nachträgliche Hochzeitsreise auf die Seychellen.«
»Vergiss aber nicht, dass ein Kind auch Geld kostet. Gerade die Erstausstattung. Und ich kann dann zunächst nicht mitverdienen. Wenn wir ein Kind wollen, wird alles anders. Du sprichst nur über das Boot.«
»Sorry - ich muss das erst verarbeiten.« Er lachte verlegen auf. »Ich freue mich riesig!«
Sie hatte ihm vorhin überraschend eröffnet, dass sie unbedingt und ganz schnell ein Kind von ihm haben wollte. Er gab ihr noch einen Kuss.
»Vor zwei Stunden habe ich noch gesponnen, dass wir beide zunächst die Welt umsegeln. Es kommt so plötzlich!«
»Sei nicht so ernst. Ein Kind ist das Normalste der Welt. Und da es von dir sein wird, wird er, wenn es ein Junge wird, auch groß und kräftig werden. Und damit er ein richtiger Frauenschwarm wird, wird er meine dunklen Augen haben.«
Francesca war Tochter italienischer Gastarbeiter und zwei Jahre älter als Benn. Sie hatten sich vor drei Jahren bei einem Konzert kennengelernt, und seit einem Jahr arbeitete sie im Verleih mit, hatte ihren Job in der Boutique aufgegeben. Ihre gelassene Freundlichkeit kam gut bei den Kunden an.
Kurz vor Beginn der Sommersaison hatten sie spontan geheiratet und die Hochzeitsreise verschoben. Ihr Segeltörn auf der Ostsee mit ein paar Tagen Erholung auf Bornholm sollte ein Ausgleich für die Anstrengungen des Sommers sein. Für Benn bot sich zugleich die Chance, die Jacht besser kennenzulernen.
»Und wenn es ein Mädchen wird? Hat es dann meine blauen Augen und mein dunkles Haar?«
»Da habe ich mich noch nicht entschieden. Ich finde mein Kastanienbraun eigentlich viel schöner. Aber ich weiß schon jetzt, dass das Kind, egal, ob Junge oder Mädchen, meine Nase und meine Gesichtszüge haben wird.«
»Warum deine Nase?«, fragte Benn.
»Weil mir deine etwas zu lang ist.«
»Wie bitte?«
»Ja. Einen kleinen Tick - habe ich dir das noch nie gesagt?«
Benn packte Francesca mit seinen kräftigen Händen an der Taille. Ihr Körper unter der Kleidung war schlank und biegsam.
»Übrigens, warum hast du gewendet und fährst Richtung Süden?«
»Du hast es bemerkt?« Benn sah Francesca verblüfft an. Er hatte ihr nichts gesagt. An der Nordspitze Rügens unweit Kap Arkona hatte er zuletzt eine kleine Marina angelaufen, hatte die Tanks mit Diesel gefüllt und war anschließend mit der Spitzengeschwindigkeit von knapp zehn Knoten Richtung Bornholm gelaufen mit der stillen Hoffnung, dass endlich Wind aufkam, um noch auf der Hinfahrt die Segeleigenschaften zu testen.
Am Adlergrund, etwa auf der halben Wegstrecke zwischen Rügen und Bornholm, hatte er gewendet, und seitdem steuerte der Autopilot Richtung Südwest. Es reichte, wenn er am kommenden Morgen in Bornholm ankam.
»Ihr Männer ...« Sie schüttelte amüsiert den Kopf. »Ich sage dir, dass ich ein Kind von dir will - und du hast gleich darauf nichts anderes zu tun, als dich wieder um das Boot zu kümmern. Dass ihr Männer immer meint, es sei eine Schwäche, Gefühle zu zeigen.«
»Männer sind eben so.«
Francesca holte dicke Jacken und Rettungswesten, denn Benn ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen.
»Hier - es ist kalt. Bringen wir es hinter uns.«
»Weißt du, ich genieße das einfach.« Die Freude in Benns Stimme war unüberhörbar. Er hatte inzwischen den Dieselmotor ausgeschaltet, das Großsegel gesetzt und blickte sichernd auf das Radardisplay. »Nachts da draußen an der Pinne zu sitzen und die Takelage knarren zu hören, das ist für mich purer Lebensgenuss. Da stört mich nicht einmal die Flaute.«
Sie sah ihn ernst an.
»Ich fühle mich unwohl dabei, draußen am
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