Die Rache Der Nibelungen
Fußspitzen kitzelte.
Am Horizont sah sie den Kontinent, der eigentlich zu weit weg war für jeden suchenden Blick. Doch sie sah ihn, sah die Wand aus Rauch und Flammen. Fern dort auf dem Festland schien die Erde zu beben und zu brechen, und Feuer fraß noch, wo es längst keine Nahrung mehr gab. Ein Summen wehte herüber, wie Millionen Schreie, die auf der Reise über das Meer müde geworden waren.
Eine Hitzewelle rollte heran, die Luft flirrte, und Elsa spürte, wie der Hauch des Todes die kleinen Härchen auf ihren Armen verbrannte. Sie hatte keine Angst. Das Übel und die Vernichtung, sie waren weit weg, in Jahren und Entfernung. Mochte der Kontinent in Feuer und Asche sterben, auf Island war sie sicher.
Sie kniff die Augen zusammen, als ein kleiner Lichtpunkt am Horizont aufstieg wie ein brennender Pfeil, ein Sendbote, den das Flammenmeer ausgespuckt hatte. Er vollzog einen feurigen Bogen an der Himmelsscheibe und neigte sich schließlich wieder der Erde zu. Nun schien es eine Sternschnuppe zu sein, die rasch näher kam – und brüllte. Ja, sie brüllte – hell und wütend.
Es war keine Sternschnuppe, das wusste Elsa. Sternschnuppen kamen nicht von der Erde – und sie brüllten auch nicht. Und je näher der Gruß der Flammen kam, desto mehr schnürte ein schwarzes Band das Herz der Königin von Island. Auf einer lodernden Zunge wurde nun eine Gestalt sichtbar, die auf einem Ross saß, dessen Hufe die Luft in Brand zu setzen vermochten. Es schuf sich seinen Weg aus Feuer, und auf dem Pfad der Vernichtung trug es eine Walküre.
Brunhilde.
Wie sehr hatte sich Elsa gewünscht, das Gesicht der Isländerin nie mehr sehen zu müssen! Sie hatte dabeigestanden, als Brunhildes Leib in Burgund verbrannt worden war. Und doch – hier war sie, im Dienste Odins und in voller Rüstung, einen Kampfruf auf den Lippen, als sie aus den Wolken auf Island niederstürzte. Ihre Hand hielt ein Schwert mit breiter Klinge, um jeden Gegner zu zerstückeln.
Der Sturm, den Brunhilde mit sich brachte, wirbelte durch Elsas Haar und trocknete den Saum ihres Kleides. Die Königin von Island schloss die Augen, wartete auf den Tod durch die Hand der Walküre.
Doch der Tod, der eine Erlösung gewesen wäre, kam nicht, und das Brüllen der Walküre zischte an Elsas Ohr vorbei, weit nach Island hinein.
Elsa öffnete die Augen und drehte sich um.
Island stand in Flammen! Die Felder, die Burg – sogar die Felsen, die den Hafenfjord schützten!
Elsa schrie, und ihre Tränen flossen schneller, als die Hitze sie trocknen konnte. Ihr Island!
Sie rannte los, ihre Füße immer noch nicht auf der Erde. Sie glitt über den Boden wie ein Schiff über die See.
Gernot! Lilja! Und – Sigurd!
Sie hatte seinen Namen kaum gedacht, da hörte sie von rechts ein hartes, metallisches Hämmern, unheilschwanger und voller Wut. Widerwillig drehte Elsa den Kopf und sah Sigurds muskulöse Gestalt, wie er den Hammer über einem Amboss aus Leibern schwang.
Auf den Leichen der Isländer schmiedete Sigurd das Schwert, dessen Macht das Schicksal seines Blutes war – Nothung! Und die Leiber knackten und knirschten unter jedem Schlag, während Nothung totes Fleisch verbrannte.
»Sigurd!«, schrie Elsa, doch kein Ton war zu hören. Sie konnte ihn nicht erreichen, ihm nicht in den Arm fallen. In seinem Blick lag Wahnsinn und in seiner Hand die Rache. Neben ihm stand Brunhilde, stolz und herrisch, das Pferd an ihrer Seite.
Einen Herzschlag später hatte Sigurd Nothung fertig geschmiedet, doch ohne Wasser glühte die Klinge weiter heiß und gierig. Brunhilde legte ihm die Hand auf die Schulter: »Siegfried.«
Wieder schrie Elsa den Namen des Mannes, den sie als ihren Sohn aufgezogen hatte – den
richtigen
Namen: »Si-gurd!«
Niemand bemerkte sie.
Mit einem mächtigen Satz sprang Brunhilde auf den Rücken ihres Pferdes, und als die Hufe den Boden berührten, brannte wieder die Erde. Sie ritt auf dem Feuer davon, abermals in Richtung Festland. Und Sigurd folgte ihr, das Schwert zum Mord bereit in der Hand.
Er kam nahe an Elsa vorbei, ohne sie wahrzunehmen. Die Königin wollte ihn packen, ihn aufhalten, doch ihre zarten Hände rutschten an seinem verschwitzten Körper ab. Endlich gelang es ihr, die Faust mit dem Schwert zu greifen.
Sigurd hielt inne.
»Zieh nicht in Rache hinaus, ohne den Tod zu erwarten.« Sie sagte die Worte leise, obwohl ihr nach Schreien zumute war.
Sigurd sah sie an, ohne sie zu erkennen. Er knurrte unwillig und zerrte an ihr, um seinen
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