Die Rache Der Wanderhure
Gaffer. Nur Marie und Michel, ein paar Stadtknechte und zwei Dominikanermönche blieben bei dem mittlerweile lichterloh brennenden Scheiterhaufen stehen.
Marie sah, wie Ruppertus sich in Schmerzen wand, und durch das Getöse des Gewitters hindurch glaubte sie auch, Schreie zu vernehmen, die nichts Menschliches mehr an sich hatten. Noch regnete es nicht, und die Windböen fachten das Feuer zu einem Inferno aus Glut und Flammen an.
Als der Wind heftiger an Maries Kleidern zerrte und sie erneut in Gefahr geriet, vom Funkenregen getroffen zu werden, schlang Michel den Arm um sie und führte sie weg.
»Es ist gleich vorbei«, sagte er. »Ruppertus kann sterben, ohne dass du ihm zusiehst.«
Marie nickte nachdenklich. »Es ist eine grauenvolle Strafe! Aber er hat sie verdient.«
Als sie auf das Stadttor zugingen, widerstand Marie dem Impuls, sich noch einmal umzudrehen. Daher sah sie nicht, dass das Pferdegespann vor dem Schinderkarren immer nervöser wurde. Bei einem besonders heftigen Donnerschlag bäumten die Gäule sich auf und gingen durch.
Der Knecht auf dem Bock versuchte noch, sie zu zügeln, doch als der Wagen über einen halb in der Erde eingebetteten Felsblock fuhr und wie ein Ball hochhüpfte, wurde der Mann hinausgeschleudert. Die Pferde rasten kopflos weiter, auf den brennenden Scheiterhaufen zu.
Die beiden Dominikanermönche hatten ausgeharrt, um Ruppertus’ Tod zu bekunden und seine Asche auf dem Schindanger zu verscharren. Als sie das durchgehende Gespann auf sich zukommen sahen, sprangen sie erschrocken zur Seite.
Im letzten Augenblick erkannten die Pferde die Gefahr und wichen dem Feuer aus. Dabei rissen die Stränge. Die Tiere galoppierten weiter, der schwere Karren aber rollte mit voller Wucht in den Scheiterhaufen und wirbelte brennende Scheite und Funken auf.
Als wäre dies ein Signal gewesen, öffneten sich die Schleusen des Himmels, und ein Wolkenbruch ergoss sich über die Stadt. Die beiden Mönche gingen um den Karren herum und näherten sich dem Scheiterhaufen. Da war das glühende Holz bereits im weiten Umkreis verstreut und zischte im Regen. Der Wagen hatte den Pfahl umgerissen, an den Ruppertus gefesselt war, und ein Stück mitgeschleift. Dieser lag jetzt mehrere Schritte von den Resten des Scheiterhaufens entfernt auf dem Boden.
Vorsichtig wichen die Mönche den rauchenden Holzresten aus und näherten sich der noch an den Pfahl gebundenen Gestalt, die von offenen Wunden und schwarzer Kruste bedeckt war. Der Schandkittel bestand nur noch aus am Körper klebenden Fetzen.
Einer der Dominikaner begann zu beten, während der andere auf den bis zur Unkenntlichkeit Verbrannten zutrat, um ihn vom Schandpfahl loszuketten. Da drehte Ruppertus mit einem Mal den Kopf. In dem schwarzen Gesicht öffnete sich ein Auge und starrte den Mönch an. Erschrocken schlug der Dominikaner das Kreuz und winkte seinen Mitbruder zu sich.
»Er lebt noch!«
»Wenn er lebt, so ist dies Gottes Wille, dem wir Menschen uns nicht widersetzen dürfen.«
»Aber was sollen wir tun?«
Der Dominikaner warf einen Blick auf die Stadt, die in dem starken Regen wie hinter einem Schleier verborgen lag. »Es ist am besten, wir bezeugen, dass Ruppertus Splendidus sein Ende auf dem Scheiterhaufen gefunden hat und wir ihn begraben haben. In Wahrheit aber bringen wir ihn in unser Kloster. Sollte er durch Gottes Gnade am Leben bleiben, muss er seine Seele durch eine Wallfahrt an eine heilige Stätte reinigen und dort in ein Kloster unseres Ordens eintreten.«
»Ganz wohl ist mir dabei nicht«, bekannte sein Mitbruder und schüttelte sich. Aber auch er nahm es als Zeichen des Himmels, dass der Verurteilte noch lebte, und das wagte er nicht zu missachten.
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Erster Teil
Verrat
1.
E lf Jahre waren seit jenem schicksalhaften Tag vergangen, an dem Ruppertus Splendidus auf dem Scheiterhaufen hätte sterben sollen und wie durch ein Wunder gerettet worden war. Niemand hatte je wieder von ihm gehört, und die meisten Menschen, die Zeuge des Geschehens geworden waren, hatten längst seinen Namen vergessen. Auch Marie erinnerte sich nur noch während mancher Tage, an denen sich ihr Gemüt verdüsterte, an ihren einstigen Feind. Seit seiner Hinrichtung auf dem Anger von Konstanz war ihr Leben in ruhigen Bahnen verlaufen.
Da alles in ihrer Heimatstadt sie an ihr Schicksal und ihre toten Lieben erinnert hatte, war sie froh gewesen, Konstanz verlassen zu können. König Sigismund hatte ihr und Michel seine Gunst erwiesen und ihnen
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