Die Rache des Marquis
Ihnen durch …«
»Zu spät«, konterte Jade. »O Gott, meine Phantasie!«
Der Pistolenschuß krachte im selben Moment, in dem sie sich gegen Caine warf und ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Er hörte die Kugel pfeifen, die dicht an seinem Ohr vorbeistrich. Jade hatte ihm das Leben gerettet – wenn er auch bezweifelte, daß dies mit Absicht geschehen war.
Er umklammerte ihre Hand noch fester und sprang hinter sie, während er Miller mit einem durchdringenden Schrei warnte. Dann begann er zu laufen und schob Jade vor sich her, um sie mit seinem breiten Rücken abzuschirmen.
Mehrere Schüsse knallten, und Jade vernahm die donnernden Schritte der Verfolger. Es klang so, als versuchte eine Herde wilder Pferde die Flüchtlinge niederzutrampeln. Sie verlor die Orientierung, aber Caine schien sich in dieser Gegend gut auszukeimen. Er zerrte sie durch ein Gassengewirr, bis sie Seitenstechen bekam und kaum noch atmen konnte. Als sie taumelnd gegen ihn sank, hob er sie auf die Arme, ohne sein Tempo zu drosseln.
Noch lange, nachdem die Geräusche der Feinde verhallt waren, stürmte er weiter. Auf einer alten Themsebrücke blieb er endlich stehen. Er lehnte sich an das wackelige Geländer und drückte Jade an sich. »Das war knapp. Verdammt, meine Instinkte haben mich im Stich gelassen. Ich war völlig ahnungslos.«
Bei diese Bemerkung keuchte er kein bißchen, und sie staunte über sein Durchhaltevermögen. Ihr eigenes Herz pochte immer noch heftig von der Anstrengung. »Laufen Sie oft durch solche Gassen, Caine?«
Diese Frage kam ihm ziemlich seltsam vor. »Nein – warum?«
»Sie müssen gar nicht nach Atem ringen. Und wir sind kein einziges Mal in eine Sackgasse geraten. Sie kennen diese Stadt sehr gut, nicht wahr!«
»Ich denke schon«, antwortete er mit einem Schulterzucken, das Jade beinahe über das Geländer warf. Erschrocken umklammerte sie seinen Hals und merkte erst in diesem Augenblick, daß er sie immer noch auf den Armen trug.
»Sie können mich jetzt runterlassen. Wir haben die Verfolger abgeschüttelt.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Ich habe Ihnen doch schon erklärt, daß ich mich nicht gern anfassen lasse. Stellen Sie mich auf die Füße.« Prüfend starrte sie in sein Gesicht. »Sie geben mir doch nicht die Schuld an Ihren mangelhaften Instinkten?«
»Nein. Was für verrückte Fragen Ihnen einfallen, Jade!«
»Nun, ich bin nicht in der Stimmung, mit Ihnen zu streiten. Entschuldigen Sie sich, und ich werde Ihnen verzeihen.«
»Ich soll mich entschuldigen?« Ungläubig hob er die Brauen. »Wofür?«
»Sie sagten doch, ich wäre völlig verwirrt und hätte eine zu lebhafte Phantasie. Und Sie haben mir noch andere Beleidigungen zugemutet.«
Caine entschuldigte sich nicht, aber er lächelte. Sie bemerkte ein Grübchen in seiner linken Wange, und ihre Herzschläge beschleunigten sich schon wieder.
»Wir stehen auf einer Londoner Brücke, in einem berüchtigten Stadtteil, von üblen Halsabschneidern gejagt. Und Sie haben keine anderen Sorgen, als mir eine Entschuldigung zu entlocken. Meine Süße, Sie sind tatsächlich nicht ganz bei Trost.«
»Ich entschuldige mich immer, wenn ich Unrecht getan habe.«
Entgeistert schaute er sie an, und sie mußte lächeln. Er war wirklich ein attraktiver Bursche. Das Mondlicht milderte seine kantigen Züge, und sein Stirnrunzeln störte Jade nicht mehr so sehr. Sie wünschte sogar, er würde ihr Lächeln erwidern. Statt dessen fragte er: »Können Sie schwimmen?«
Sie starrte auf seinen Mund und fand, daß sie noch nie so schöne weiße Zähne gesehen hatte. Ungeduldig schüttelte er sie. »Können Sie schwimmen?« Seine Stimme nahm ein drängenden Klang an.
»Ja.« Sie gähnte undamenhaft. »Warum?«
Anstelle einer Antwort warf er sie über seine rechte Schulter und stieg auf das Geländer. Ihr langes Haar streifte den hinteren Rand seiner Stiefel. »Zum Teufel, was treiben Sie denn?« kreischte sie und hielt sich an seinem Jackett fest. »Lassen Sie mich runter!«
»Die Brückenenden sind blockiert. Holen Sie tief Atem, Jade, ich bleibe dicht hinter Ihnen.«
Sie fand gerade noch Zeit, einen Wutschrei auszustoßen, dessen Echo im schwarzen Nachtschatten verhallte, bevor Caine sie vom Geländer warf. Plötzlich flog sie durch beißenden Wind, und ihr fiel gerade noch rechtzeitig ein, den Mund zu schließen, ehe das eisige Wasser über ihrem Kopf zusammenschlug. Ihre Lungen schmerzten. Unwillkürlich öffnete sie die Lippen, preßte sie aber
Weitere Kostenlose Bücher